Straflosigkeit hat System – Die Polizei durfte Kamal Ibrahim erschießen

Am 3. Oktober 2021 in der Nacht war Kamal Ibrahim, ein 40-Jähriger Geflüchteter aus dem Sudan, in einer Unterkunft für Geflüchtete in Harsefeld (Landkreis Stade) durch Polizeibeamte erschossen worden. Damit war nach Aman Alizada innerhalb von gut zwei Jahren erneut ein als psychisch krank geltender Geflüchteter durch die Polizei getötet worden.

Trotzdem bekannt war, dass Kamal Ibrahim an psychischen Problemen litt, und trotzdem der sozialpsychatrische Dienst auf diesen Umstand hingewiesen worden war, es tat sich nichts.

Bis es dann zu mehreren Einsätzen der Polizei kam: „Die Situation habe sich aber jeweils beruhigen lassen, und man habe sich gemeinsam mit einem Gericht gegen eine Einweisung in eine psychiatrische Anstalt entschieden.

Der Betroffene habe sogar angeboten, sich selbst in Gewahrsam zu begeben. Der 40-Jährige soll 0,9 Promille Atemalkoholpegel gehabt haben, berichtet die Lokalzeitung Wochenblatt. Kurz vor Mitternacht sei es dann zu dem dritten Einsatz gekommen – mit Todesfolge. Kamal Ibrahim habe die eingesetzten Polizist*innen mit einem Messer angegriffen, die hätten dann geschossen, so die Staatsanwaltschaft.“( https://taz.de/Toedlicher-Vorfall-in-Niedersachsen/!5801600/ )

Siehe auch:

Todesfälle im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen in Norddeutschland / Migrantische Erfahrungen mit Polizeigewalt. Forderungen an die niedersächsische Landesregierung

Ein Artikel des ND:

Straflosigkeit mit System – Die Kampagnengruppe »Death in Custody« zeigt: Oury Jalloh war kein Einzelfall. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1138614.death-in-custody-straflosigkeit-mit-system.html

Die Kampagne

„Death in custody“ https://doku.deathincustody.info/kampagne/

Hier die Stellungnahme des Niedersächsischen Flüchtlingsrates zur Einstellung des Verfahrens: https://www.nds-fluerat.org/52842/aktuelles/toedlicher-polizeieinsatz-gegen-gefluechteten-staatsanwaltschaft-stellt-ermittlungen-ein/

„Tödlicher Polizeieinsatz gegen Geflüchteten: Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein

Im Fall des im Oktober 2021 bei einem Polizeieinsatz in Harsefeld getöteten sudanesischen Geflüchteten Kamal I hat die Staantsanwaltschaft Stade die Ermittlungen gegen die am Einsatz beteiligten Beamt:innen wegen Todschlags eingestellt: Die Polizist:innen hätten in Notwehr bzw. Nothilfe gehandelt, als sie 13 Schüsse auf den – bekanntermaßen psychischen auffälligen – und alkoholosierten Kamal I. abgaben, da dieser die Beamt:innen mit einem Messer lebensgefährlich bedroht habe. Ein Mitbewohner von Kamal I. wurde nur zufällig von einem Schuss verfehlt – wie der Flüchtlingsrat aus Gesprächen erfuhr.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen ist entsetzt über die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren einzustellen, und fordert eine gerichtliche Klärung der Todesumstände von Kamal I., dem elf Kugeln aus der Waffen von drei Polizist:innen den Tod brachten.

Sigmar Walbrecht, Referent des Flüchtlingsrat Niedersachsen

„Angesichts der Faktenlage ist es absolut unbegreiflich, weshalb die vier Polizeibeamt:innen keine andere Möglichkeit gesehen haben, als auf Kamal I. zu schießen, um die Situation zu bewältigen. Deshalb halten wir es für dringend notwendig, dass die Todesumstände vor Gericht öffentlich und transparent aufgeklärt werden. Es darf nicht sein, dass Ermittlungen zu einem tödlichen Polizeieinsatz bei der Staatsanwaltschaft Stade erneut in einer Sackgasse verlaufen. Der Staatsanwaltschaft fehlt es ganz offensichtlich am nötigen Aufklärungswillen gegenüber Ihren Kolleg:innen von der Polizei, mit denen sie tagtäglich Zusammenarbeit.“

Auch im Fall des im August 2019 durch Polizeibeamt:innen getöteten Aman Alizada hatte die Staatsanwaltschaft Stade das Ermittlungsverfahren gegen die Polizeibeamt:innen alsbald nach Eintritt des Todes eingestellt und dies damit begründet, dass die Beamt:innen in „glasklarer Notwehr“ gehandelt hätten.

Nach Auffassung des Flüchtlingsrat Niedersachsen scheint die Polizei Stade keinerlei Konsequenzen aus dem tödlichen Einsatz gegen Aman Alizada gezogen zu haben. Auch im Fall von Aman Alizada war der Polizei bekannt, dass dieser psychisch erkrankt war. Sowohl im Fall von Aman Alizada als auch im Fall von Kamal I. riefen die Mitbewohner aus der Gemeinschaftsunterkunft die Polizei zur Hilfe, damit diese sich um ihren Mitbewohner kümmert – beide Fälle endeten mit dem Tod ihres Mitbewohners und Freundes.

Sigmar Walbrecht, Referent des Flüchtlingsrat Niedersachsen

„Ganz offenbar ist die Stader Polizei nicht in der Lage, mit Personen in psychischen Ausnahmesituationen menschenwürdig umzugehen. Wenn wiederholt ein Polizeieinsatz gegen einen psychisch kranken Geflüchteten tödlich endet, muss dies nicht nur eine gerichtliche Aufarbeitung nach sich ziehen, sondern auch zu Änderungen in den Einsatzkonzepten der Polizei führen. Wie kann man Geflüchteten guten Gewissens raten, in solchen Situationen die Polizei zu rufen“

Auch die BI Menschenwürde aus dem Landkreis Stade krtisiert in ihrer Pressemitteilung vom 6. April die Einstellung der Ermittlungen scharf und wirft eine Reihe von Fragen auf, die nicht unbeantwortet bleiben dürfen.

Ob Rechtsmittel gegen die Einstellung der Ermittlung durch die Staatsanwaltschafte Stade eingelegt wird, wird nun geprüft.“

Hintergrund

Tod von Kamal Ibrahim: Forderung nach vollständiger Aufklärung, Beitrag vom 25. Oktober 2021
Tod von Kamal I. nach Polizeieinsatz – viele Fragen offen, Beitrag vom 11. Oktober 2021
Tödlicher Polizeieinsatz: Geflüchteter in Haarsfeld erschossen, Pressemitteilung vom 05. Oktober 2021

Medienberichte

Tödliche Schüsse: Verfahren gegen Polizisten eingestellt. NDR 1, 06.04.2022
Erschossener Harsefelder Flüchtling: Staatsanwaltschaft Stade bestätigt Notwehr der Polizisten. Tageblatt, 06.04.2022

Artikel aus der TAZ:

Verfahren in Stade eingestellt: Polizei durfte Ibrahim erschießen

https://taz.de/Verfahren-in-Stade-eingestellt/!5843600/

 „In der Pressemitteilung zur Einstellung der Ermittlungen heißt es, rechtlich seien alle Schüsse als Notwehr und Nothilfe gerechtfertigt gewesen.“ …

Elf Bürger*innen des Landkreises Stade hatten im Februar dann das Warten satt und versuchten, mit Strafanzeigen weitere Ermittlungen zu erreichen. „Das Hauptmotiv ist eine rechtsstaatliche Klärung der Vorgänge auf allen Ebenen“, sagte Hellmuth Färber“

Weitere Artikel der TAZ:

https://taz.de/Tod-eines-Gefluechteten-in-Harsefeld/!5829550/

https://taz.de/Polizeieinsatz-in-Gefluechtetenunterkunft/!5805900/https://taz.de/Toedlicher-Vorfall-in-Niedersachsen/!5801600/