Kurzer Prozess- mit weitreichenden Folgen? Die Internetplattform Linksunten.Indymedia bleibt verboten.

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Vorgeschichte

Im August 2017 hatte der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) linksunten.indymedia verboten.

– mit dem Trick, es handele sich um einen Verein. Die Webseite habe es ermöglicht und erleichtert, dass dort Straftaten gebilligt und Anleitungen zu Straftaten veröffentlicht wurden. Das Bundesinnenministerium hatte argumentiert, dass als Vereine auch alle Vereinigungen von Personen gelten können, die sich zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen haben. Es genügt, dass sich mindestens zwei Personen zusammenschließen und sich einem gemeinsam gebildeten Willen unterordnen.

Nach den Ausschreitungen der Polizei beim Hamburger G20-Gipfel meinte der Apparat wohl, es wäre eine gute Zeit solch ein Verbot zu probieren. Als „Mehr Wahlkampf-Symbolik als sinnvoller Kampf gegen Linksradikale“ schätzte der Hamburger Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), Jan Reinecke, dieses Vorgehen ein und traf damit wahrscheinlich die Sache auf den Punkt – zumindest was den Zeitpunkt des Verbots anbelangt. Auch die Seite netzpolitik.org betitelt ihren Hintergrundartikel zum Verbot mit „Wahlkampfmanöver“.

                                 Hier die Verbotsverfügung:

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Reporter ohne Grenzen kritisierte das Vorgehen des Bundesinnenministeriums beim Verbot der als linksextremistisch eingestuften Website linksunten.indymedia.org als rechtsstaatlich gefährliche Entwicklung.

 

Strafverfahren

Alle elf Strafverfahren im Zusammenhang mit der Plattform wurden eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gab an, sie habe Straftaten – Bildung einer kriminellen Vereinigung – entweder nicht belegen können oder sei nicht in der Lage gewesen, Verdächtige zu ermitteln. Die als Polizeitaktik mittlerweile bekannte Maßnahme zur Rechtfertigung ihres Vorgehens Falschinformationen zu verbreiten beinhaltete dieses Mal angebliche Waffenfunde. Letztendlich brachen alle Ermittlungen in sich zusammen, allerdings auch, weil sich das Gericht nicht ausschließlich auf Erkenntnisse des VS verlassen möchte.

Allerdings hatten diese Ermittlungen Folgen für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht(BVerwG) in Leipzig.

Klage

Gegen das Verbot des Vereins hatten fünf Leute aus Freiburg geklagt, denen damals die Verfügung zugestellt worden war. Sie klagten nicht im Namen des verbotenen Vereins, denn dies hätte als Geständnis aufgefasst werden können, dass sie tatsächlich die Plattform betrieben hätten. Dies wiederum hätte straf-und zivilrechtliche Folgen haben können. Zum einen hatte die Staatsanwaltschaft wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt und könnte diese Ermittlungen nun wieder beleben, zum anderen könnten eventuell auf der Plattform als Faschisten geoutete Personen gegen dieses outing klagen und Geld von den Betreiber_innen verlangen.

Rechtsanwalt Sven Adam sagte zur Begründung der Klage:

„Zentrale Elemente unserer Klage sind erstens: Es gibt diesen Verein gar nicht, es gibt keinen Vorstand, keine eingetragenen Vereinsstrukturen oder sonst irgendwas. Er ist ein vom Bundesinnenministerium erfundenes Konstrukt. Zweitens: Selbst, wenn es diesen Verein gäbe, ist jedenfalls der Kläger – und die anderen Personen, die die Verbotsverfügung zugestellt bekommen haben – nicht Teil dieses Vereins. Und sollte es nach Ansicht des Gerichts doch einen Verein geben, dann hätte er drittens materiell-rechtlich nicht verboten werden dürfen, weil für den Fall des staatlichen Einwirkens auf ein presserechtlich zu beurteilendes Organ das sogenannte Telemediengesetz Anwendung findet.“ Und weiter: „Im schlimmsten Fall weist es die Klage ab und sagt, wir seien nicht klagebefugt. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besagt, dass gegen ein Vereinsverbot nur der betroffene Verein klagen kann, also die Prüfung und Aufhebung des Verbots nur durch den Verein selbst betrieben werden kann. Jetzt haben wir das Problem, dass die Kläger nicht als Verein, sondern als Einzelpersonen klagen, da nach unserer Auffassung dieser Verein nicht existiert. Selbst das Bundesinnenministerium räumt ein, nicht zu wissen, wer Teil dieses »Vereins« ist.“

Und so kommt es dann auch.

Abgewiesen

Das Bundesverwaltungsgericht(BVerwG) in Leipzig hat am 29.01.2020 die Klage abgewiesen, ohne die Verbotsgründe überhaupt zu prüfen.

Zur Anfechtung eines solchen Verbots sei “regelmäßig nur die Vereinigung” befugt, sagte der Vorsitzende Richter des 6. Senats, Ingo Kraft. Also: gegen das Verbot eines Vereins kann nur der Verein klagen– sofern die Mitglieder dies entschieden haben. Im Fall von linksunten.indymedia ist jedoch sogar ungeklärt, wer diese Mitglieder sein sollten.

Im Weiteren hat das Gericht das Verbot der Website gar nicht geprüft, sondern lediglich festgestellt, Linksunten.Indymedia sei eine Vereinigung gewesen, die sich 2008 zum Zweck gebildet habe, eine linke Gegenöffentlichkeit zu schaffen, dass es sich demnach tatsächlich um einen Verein im Sinne des Vereinsgesetzes handele.

Helene Bubrowski schreibt zum Verfahren in der FAZ: … „Die Kläger … sehen durch das Verbot die Pressefreiheit verletzt. Etwa 200000 Kommentare zu allen möglichen Themen habe es auf der Seite insgesamt gegeben, … , das Bundesinnenministerium habe aber nur „eine Handvoll“ Beiträge kritisiert. Daher sei das komplette Verbot unverhältnismäßig, die Landesmedienanstalten hätten die Löschung bestimmter Beiträge verlangen können. Außerdem habe es keine Ermittlungsverfahren gegen einzelne Posts gegeben.

Rechtsanwalt Wolfgang Roth, der das Bundesinnenministerium vertritt, hielt dem entgegen, für das Verbot komme es weder auf Anzahl der strafbaren Beiträge an noch darauf, ob Ermittlungsverfahren eingeleitet worden seien. Aus Sicht des Ministeriums waren die strafbaren Beiträge keine „Ausrutscher“, sondern ein „durchgängig prägendes Muster“, „die DNA“ von „Linksunten.Indymedia“, so Roth. Er zitierte aus einem Kommuniqué des Vereins: „Bekennerschreiben und Outings sind willkommen“….“

Die TAZ berichtet: …“Für die Bundesregierung argumentierte Anwalt Wolfgang Roth, dass es für die „Prägung“ der Seite nicht auf die Zahl der strafbaren Beiträge und Aktivitäten ankomme. „Sonst könnte man nie einen Verein verbieten, weil letztlich immer die legalen Aktivitäten überwiegen.“

Mit dieser Haltung könnte es zu erheblichen weiteren Eingriffen in die Pressefreihdit kommen. Fabian Hillebrand schreibt am 30.01.2020 im Kommentar im ND :

En passant und obwohl gar nicht der konkrete Verbotsfall geprüft wurde, hat das Gericht hier womöglich eine weitreichende Entscheidung getroffen. Nach dieser Rechtsauffassung können fortan Horst Seehofer und alle künftigen Innenminister sorglos Blogs, Medienplattformen und sogar Zeitungen verbieten.“

 

Der Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. am 29.01.20:

Fortbestand des linksunten-Verbots ist ein Skandal!

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage gegen das Verbot der alternativen Medienplattform linksunten.indymedia.org am Mittwoch Abend abgewiesen. Mit Verweis darauf, dass die Klagenden nicht berechtigt seien ein entsprechendes Verfahren anzustrengen, verweigert das Gericht in Leipzig eine inhaltliche Prüfung des Verbots.

Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. fasst das heutige Prozessgeschehen zusammen:

„Um das Verbot von linksunten.indymedia.org durchsetzen zu können, hat das Innenministerium einen Verein konstruiert, der nie existierte. Nun lehnt das Bundesverwaltungsgericht eine inhaltliche Prüfung des Verbotes ab, weil nur der verbotene Verein klageberechtigt sei. Das Gericht führt die Situation damit ad absurdum.“

Juristenverbände und politische Organisationen hatten das unter Innenministers Thomas de Maizière erlassene Verbot immer wieder scharf kritisiert.

Die Rote Hilfe e.V. hat in den vergangenen Jahren Öffentlichkeit organisiert und Spenden für die Klagen gesammelt. Zur Deckung der bereits angefallenen Prozesskosten und für mögliche weiterer Rechtszüge, wird die Rote Hilfe dieses Engagement fortsetzen.

Anja Sommerfeld hierzu: „Das Verbot von linksunten.indymedia war und ist ein Angriff auf die Pressefreiheit. Dass das Bundesverwaltungsgericht der Kriminalisierung alternativer Medien keinen Riegel vorschiebt, ist ein Skandal.“

Spendenkonto

Für die Klagen gegen das Verbot und die Unterstützung der Betroffenen

  • Empfänger: Rote Hilfe OG Stuttgart
  • IBAN: DE66 4306 0967 4007 2383 13
  • BIC: GENODEM1GLS
  • Stichwort: linksunten

 

 

Indymedia-linksunten archiv online

linksunten.indymedia.org verboten –

Archiv bleibt erhalten: https://linksunten.tachanka.org/