Widerstand unerwünscht – Kurdische Feministin angeklagt

yildiz

Widerstand unerwünscht – Kurdische Feministin angeklagt

Yildiz Aktaş steht in Berlin vor Gericht, weil sie die PKK unterstützt haben soll. An Straftaten der kurdischen Arbeiterpartei war sie allerdings nie beteiligt.

  • Von Vanessa Fischer
  • 14.11.2019, 15:53 Uhr

mit freundlicher Genehmigung dokumentieren wir den Teil eines Textes aus dem Neuen Deutschland:

Es war die Solidarität anderer Frauen, die Yildiz Aktaş überleben ließ. In einer Welt, die von staatlicher Gewalt und Folter, Kriminalisierung als Kurdin und patriarchaler Unterdrückung als Frau geprägt ist. »Ich würde heute nicht vor Ihnen stehen, wenn ich nicht mein Leben lang widerständig gewesen wäre«, erklärt die 51-Jährige zum dritten Prozesstag am 1. November vor dem Kammergericht in Berlin-Schöneberg.

Seit dem 25. Oktober muss sich die kurdische Feministin vor dem Berliner Gericht verantworten. Nach Paragraph 129b des deutschen Strafgesetzbuches wird ihr vorgeworfen, sich in den Jahren 2013 und 2014 unter anderem in Berlin für die PKK engagiert zu haben. »Paragraph 129b knüpft an Straftaten im Ausland an. Bei der PKK geht es da beispielsweise um Angriffe auf türkische Soldaten«, erklärt Aktaş‘ Anwalt Lukas Theune im Gespräch mit »nd«. Bei dem Prozess gegen Yildiz Aktaş stünden allerdings Aktivitäten im Mittelpunkt, die in der BRD eigentlich vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt seien: etwa die Teilnahme an einer Demonstration oder das Malen von Transparenten. »Nichts davon ist in Deutschland verboten«, so Theune. Doch in der Logik des Paragraphen 129b kann auch aus der Teilnahme an einer Demonstration die Unterstützung einer »terroristischen Vereinigung im Ausland« werden: In dem Verfahren geht es letztlich also nicht darum, ob Aktaş selbst Straftaten der PKK verübt hat, sondern nur darum, ob sie die kurdische Arbeiterpartei ideologisch unterstützt. Bei einem Schuldspruch droht ihr dennoch eine langjährige Haftstrafe. Acht kurdische Aktivist*innen befinden sich laut dem Infodienst Azadi, der über politische Gefangene nicht-deutscher Herkunft informiert, nach einer Verurteilung durch Paragraph 129b derzeit in deutschen Haftanstalten. Sollte Aktaş verurteilt werden, wäre sie die erste Frau.

Das wollen die Aktivist*innen der Solidaritätskampagne »Freiheit für Yildiz – Defend Feminism« um jeden Preis verhindern. Mit bunten Transparenten und Bannern stehen sie bei jedem Prozesstag vor dem Gerichtsgebäude. Sie wollen die Ziele der kurdischen Bewegung, für die auch Aktaş kämpft und nun verurteilt werden soll, auch außerhalb des Verhandlungssaals bekannt machen: Feminismus, Selbstbestimmung und Ökologie. »Daneben spielt auch die persönliche Geschichte der Angeklagten im Prozess eine wichtige Rolle«, erklärt eine Aktivistin der Solidaritätsgruppe, die sich Lola nennt und ihren wahren Namen nicht in der Zeitung lesen will, gegenüber »nd«.

Angeklagte war mehrmals Folteropfer

Aktaş, die solange der Prozess noch läuft lieber nicht mit der Presse sprechen möchte, wurde bereits 1981 im Alter von nur zwölf Jahren als jüngste weibliche Gefangene im Gefängnis von Diyarbakir inhaftiert und dort schwer misshandelt. Später engagierte sie sich in der prokurdischen »Partei des Friedens und der Demokratie« (DBP) für Frauenrechte und Feminismus. Sie wurde deswegen immer wieder inhaftiert. Bis heute leidet sie unter erheblichen gesundheitlichen Problemen durch die erlebte Folter und Gewalt.

Dennoch zeigte sie im Jahr 2011, zusammen mit anderen Überlebenden aus Diyarbakir, die damals für das Betreiben des Gefängnisses Verantwortlichen an. »Ihr ganzes Leben ist geprägt vom Kampf gegen Gewalt an Frauen und dem Einsatz für deren Rechte«, erklärt Aktivistin Lola.

Als Aktaş 2012 eine erneute Inhaftierung in der Türkei drohte, floh sie nach Deutschland und erhielt politisches Asyl. »Es ist wirklich grotesk, dass der deutsche Staat sie nun für die gleichen politischen Tätigkeiten verfolgt, für die er ihr 2012 politisches Asyl gewährt hat«, sagt Lola. Für die junge Aktivistin ist das Strafverfahren auch ein Angriff auf die internationale feministische Bewegung, denn »die kurdische Frauenbewegung bietet Feminist*innen weltweit Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben in Würde und Freiheit.« Dem stimmt auch Theune zu: »Das scheint dem deutschen Staat nicht zu gefallen.« Selbst aus der Telefonüberwachung ergebe sich nicht, dass die Angeklagte PKK-Mitglied war. »Wohl aber, dass sie sich für Feminismus und kurdische Belange im Allgemeinen eingesetzt hat«, sagt der Anwalt. So habe Aktaş beispielsweise gegen die Ermordung dreier kurdischer Frauen in Paris durch den türkischen Geheimdienst protestiert. »Sich gegen Frauenmorde einzusetzen, das kann man aber auch als Feministin. Dafür muss man kein PKK-Mitglied sein«, stellt Theune fest.

hier weiter lesen…

 

Stellungnahme der Kampagnengruppe “Freiheit für Yildiz” zum Auftakt der Hauptverhandlung am 25.10.2019 im Verfahren gegen Yildiz Aktas, vor dem Kammergericht Schöneberg

Heute, am 25.10.2019 begann der Prozess gegen die kurdisch-feministische Politikerin Yildiz Aktaş (51) im Kammergericht Berlin-Schöneberg. Sie wird gemäß den Paragraphen §§129a/b StGB als Mitglied einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ angeklagt.

Yildiz Aktaş engagierte sich zeitlebens sowohl in der Türkei, als auch in Deutschland, gegen Gewalt an Frauen und Mädchen und deren Recht auf Selbstbestimmung, Bildung und finanzielle Unabhängigkeit. Schon mit 12 Jahren wurde sie in Dyarbakir, einem für seine Grausamkeiten gegenüber den Insass*innen bekannten Gefängnis, inhaftiert und gefoltert. 2012 flüchtete sie vor der fortlaufenden politischen Verfolgung in der Türkei nach Deutschland und erhielt hier Asyl. Vor ihrer Flucht nach Deutschland im Jahr 2012 war sie in hoher Funktion für Frauenrechte in der prokurdischen „Partei des Friedens und der Demokratie“ (DBP) aktiv.

Die Verteidigung, vetreten durch Lukas Theune und Antonia von der Behrens, zogen am ersten Prozesstag die Legitimität des Verfahrens in Zweifel und beantragten eine Unterbrechung des Verfahrens. Die für die Angeklagte äußerst belastende und stigmatisierende Beweisaufnahme, solle bis zur Entscheidung des Bundesjustizministeriums darüber, ob die von ihm erteilte Verfolgungsermächtigung gegen angebliche Führungskader der PKK, noch angemessen und politisch haltbar sei, unterbrochen werden.

BundesjustizministerinChristine Lambrecht (SPD) äußerte sich in der Vergangenheit bereits wiederholt kritisch zur deutschen Zusammenarbeit mit dem Regime Erdogans. Die Verteidigerinnen betonten, dass die Verfolgung kurdischer Aktivistinnen in Deutschland allerdings eine indirekte Unterstützung der diktatorischen Verhältnisse in der Türkei darstelle, komme doch Deutschland damit den Verfolgungsforderungen Erdogans nach. Hierzu merkte auch eine Sprecherin der Kampagne “Freiheit für Yildiz- defend feminism” an: “Die Repression hat nicht nur innenpolitische Konsequenzen, sondern auch gravierende außenpolitische Folgen. Damit stellt die Bundesregierung die PKK sowie die syrische PYD/YPG, auf eine Stufe mit dem Islamischen Staat, was wiederum der Türkei in die Hände spielt. Wir fordern die Bundesjustizministerin dringend dazu auf, ihren Worten Taten folgen zu lassen. Dies bedeutet den Wandel der Ziele der PKK sowie die aktuelle politische Situation in der Türkei und Nordostsyrien zu berücksichtigen und die Einzelverfolgungsermächtigung gegen Yildiz Aktaş zurückzunehmen.”

Die Türkei führt aktuell einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die selbstverwalteten Gebiete in Nord – und Ostsyrien. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international hat bereits Kriegsverbrechen angeprangert und spricht unter anderem von „rücksichtslose[n] Angriffe[n] in Wohngebieten“. Insbesondere Frauen werden zur Zielscheibe der Gewalt, so beispielsweise die kurdische Politikerin Havrin Khalaf, die am 12.10.2019 brutal hingerichtet wurde. 2016 sagte der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière: „Die Türkei ist Nato-Mitglied und für uns ein wichtiger Partner in der Flüchtlingskrise und im Kampf gegen den internationalen Terrorismus“. Wer sind aber die Terroristen? Diejenigen die in Syrien gegen den IS kämpfen und dort das Fundament für eine ökologische, feministische und basisdemokratische Gesellschaft legen oder ein Regime, dass trotz internationaler Warnungen in sein Nachbarland einmarschiert und die dort ansässige Zivilbevölkerung verfolgt, verletzt und tötet?

Vor diesem Hintergrund fordern wir einen sofortigen Stopp der Zusammenarbeit deutscher und türkischer Verfolgungsbehörden und eine Einstellung des Verfahrens gegen Yildiz Aktaş.

Die feministische Kampagnengruppe “Freiheit für Yildiz” ruft auf zu einer weiteren Kundgebung, beim nächsten Prozesstermin, Dienstag den 29.10.2019 um 8 Uhr, vor dem Kammergericht Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30 – 33, 10781 Berlin.

Mehr Informationen zur Kampagne und weitere Prozesstermine sind dem Blog freiheit-yildiz.com zu entnehmen sowie auf Twitter #freedom4yildiz.

 

Pressemitteilung von AZADI e.V.

Kammergericht Berlin: Eröffnung des § 129b-Prozesses gegen Yildiz AKTAŞ

Am 25. Oktober beginnt vor dem Kammergericht Berlin die Hauptverhandlung gegen die kurdische Aktivistin Yildiz AKTAŞ (50). Sie wird beschuldigt, sich als Mitglied in einer „terroristischen Vereinigung im Ausland“ (§§129a/b StGB) in den Jahren 2013/2014 politisch betätigt zu haben, u.a. in Berlin.

Die Kurdin wurde am frühen Morgen des 9. April 2018 aufgrund eines Haftbefehls des Kammergerichts Berlin durch ein polizeiliches Sonderkommando in ihrer Wohnung in Esslingen/Baden-Württemberg festgenommen und in die JVA Berlin-Lichtenberg verbracht.

Aufgrund ihrer erheblichen gesundheitlichen Probleme, verursacht durch schlimmste Folter in den Gefängnissen der Türkei, insbesondere in dem Hölle Nr. 5 genannten Gefängnis in Diyarbakir, wurde sie später von der Untersuchungshaft verschont. Yildiz AktaŞ ist bereits als 12-Jährige im Zuge des Militärputsches vom 12. September 1980 inhaftiert worden. Unter den Bedingungen von Repression und Verleugnung kurdischer Existenz, hat sie über zwei Jahrzehnte ihr politisches Engagement für Demokratie und Frauenrechte in verschiedenen kurdischen Parteien fortgesetzt. Dieses mutige Eintreten führte zu zahlreichen Festnahmen, Inhaftierungen und Strafverfahren.

Weil ihr eine weitere Inhaftierung drohte, flüchtete sie im Jahre 2013 nach Deutschland und wurde als asylberechtigt anerkannt.

Dieses Verfahren gegen die kurdische Politikerin findet nun statt vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges des NATO-Landes Türkei gegen Nordsyrien/Rojava, das mit Waffen und Kriegsgerät aus Deutschland hochgerüstet wurde. Mit diesen „Terrorismus“-Prozessen, der stigmatisierenden Kriminalisierung von Kurd*innen, der permanenten Verbotsverschärfungen und Drangsalierungen, Abschiebedrohungen, Einbürgerungsverweigerungen und den Versuchen, Solidarität zu zerschlagen, unterstützt die Bundesregierung das diktatorische Regime in Ankara. Ihr Verteidiger Lukas Theune, erklärte in einer Pressemitteilung vom 22. 10., dass in Deutschland „nach wie vor nicht türkische Kriegsverbrecher, sondern Folteropfer wie Yildiz Aktaş verfolgt“ werden.

In diesem Zusammenhang wollen wir daran erinnern, dass die politisch motivierte Strafverfolgung von kurdischen Aktivist*innen und Politiker*innen eine lange „Tradition“ hat. Sie setzte in den 1980er-Jahren ein und führte zu einer flächendeckenden staatlichen Verfolgung, massenhaften Razzien, Verhaftungen und medial inszenierten Kampagnen, mit denen die kurdische Bewegung und ihre Anhänger*innen zu den „gefährlichsten Terroristen Europas“ erklärt wurden.

Am 24. Oktober 1989 begann das erste Verfahren gegen rund 20 Kurd*innen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, der nach viereinhalb Jahren Hauptverhandlung im März 1994 endete und als größter „Terrorismus“-Prozess in die Geschichte der deutschen Strafjustiz einging.

Im November 1993 erfolgte das PKK-Betätigungsverbot. Seitdem hat sich jeder Bundesinnenminister – ob CDU, CSU oder SPD – durch „sein“ Repressionsprojekt gegen die kurdische Bewegung hervorgetan, sei es eine Gesetzesverschärfung oder Verbotsverfügung. Die jeweilige türkische Regierung hat das Vorgehen zwar jeweils begrüßt, beständig aber weitere repressive Schritte gefordert. So ist auch die jüngste Generation von Kurdinnen und Kurden mit Kriminalisierung, Misstrauen und Ablehnung konfrontiert.

Das muss ein Ende haben: Das PKK-Verbot gehört abgeschafft, die politischen Verfahren müssen eingestellt und die derzeit zehn Gefangenen auf freien Fuß gesetzt werden.

Die Verteidigung von Yildiz Aktaş hat am 21. Oktober beim Bundesjustizministerium einen Antrag auf sofortige Rücknahme der Verfolgungsermächtigung gestellt, die erst eine Strafverfolgung nach § 129b Abs. 1 Strafgesetzbuch möglich macht.

Der Prozess findet statt

am Freitag, 25. Oktober 2019, um 9.00 Uhr vor dem Kammergericht Berlin, Saal 145, Elßholzstraße 30 – 33

Folgetermine: 29.10., 5.11., 7.11., 15.11., 29. 11., 6.12., 16.12., 17.12., 20.12. – jeweils um 9.00 Uhr

AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, Köln
Tel. mobil: 0163 – 0436 269
22. Oktober 2019

Weitere Informationen auf einer Seite für diesen Prozess: https://freiheit-yildiz.com/

 

Weitere Informationen auch unter:

Freiheit für die kurdischen politischen Gefangenen