Margarethe Faas-Hardegger – Solidarität verbindet

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Margarethe Faas-Hardegger,

geboren am 20 Februar 1882,

Feministin, Gewerkschafterin, Antimilitaristin, Sozialistin, Aktivistin der Roten Hilfe

“Proletarian women are women who work for any master. That her master is called the State, a corporation, a shareholders’ company, a manufacturer, a boss or a husband, it doesn’t matter! Whether her work uses a machine, her arms or her brains; whether it is considered work or “an occupation attributed to women because of their sex”; whether it is paid or not, it doesn’t matter! Every woman and girl who works for someone else’s profit is a proletarian woman.” *1

Proletarische Frauen sind Frauen, die für irgendeinen Herrn arbeiten. Ob dieser Herr Staat, Konzern, Aktionärsgesellschaft, Handwerker, Vorgesetzter oder Ehemann genannt wird spielt keine Rolle! Ob ihre Arbeit an einer Maschine geschieht, ob ihre Arme oder ihr Gehirn genutzt wird, ob es Arbeit genannt wird oder „eine Position ist, die Frauen aufgrund ihres Geschlechts zugeschrieben wird“; ob das bezahlt wird oder nicht, das spielt keine Rolle! Jede Frau und jedes Mädchen, das für den Profit von jemand anderem arbeitet, ist eine proletarische Frau.

 

 

Die am 20. Februar 1882 geboren Bernerin wuchs in finanziell abgesicherten Umständen auf und hatte schon als Jugendliche “sozialistische Flausen” im Kopf. Zunächst wurde sie Telefonistin, holte dann die Matura nach und studierte Jura und Nationalökonomie, währenddessen heiratete sie einen Mitstudenten. Nachdem dieser sie verließ um Opernsänger zu werden, zog sie die zwei Töchter alleine auf.

Schon bald zeigten sich die beiden Eckpunkte ihres politischen Engagements: ihr Glaube an die persönliche Freiheit jedes Menschen, vor allem im Hinblick auf jede Art von Beziehungen. Und ihr großes Talent dafür, Menschen um sich zu versammeln, sie in Gruppen und Verbänden zu organisieren und zu gemeinsamer Aktion zu motivieren. Dabei ließ sie sich nicht auf eine bestimmte Weltanschauung festlegen, vor allem suchte sie die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Gruppierungen der Linken zu stärken. Im Laufe ihres Lebens war sie in über 20 Organisationen tätig, von der “American Guild for German Cultural Freedom” bis zum “Sozialistischen Abstinentenbund”. Zeit ihres Lebens setzte sie sich für politisch Verfolgte ein und nahm dabei auch harte persönliche Nachteile in Kauf.

1903 begann sie ihre politische Laufbahn, sie übersetzte den Text des Militärdienstverweigerers Charles Naine, womit sie einen Schwerpunkt ihrer weiteren Arbeit markierte, den Antimilitarismus. Zur gleichen Zeit begann ihre gewerkschaftliche Tätigkeit als Mitbegründerin des Berner Textilarbeitervereins, für den sie maßgeblich an einer erfolgreichen Kampagne gegen schlechte Arbeitsbedingungen in einer Spinnerei beteiligt war. Am 15. Juni 1904 wurde sie, gerade 23 Jahre alt, als erste Frau in das Sekretariat des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes gewählt. Ihr Studium der Rechtswissenschaften gab sie zugunsten dieser Stelle auf.

Durchs Wallis schallte ein Ruf: «Die rote Margrit kommt!» Schreck für die einen, Freude für die andern.*2

In dieser Funktion, die sie bis 1909 innehatte, Auf ihren vielen Hundert Reden thematisierte sie die Mutterschaftsversicherung, bezahlte Hausarbeit sowie Geburtenreglung mittels allgemeiner Verfügbarkeit von Verhütungsmitteln und setzte sich für die Gründung von Konsumentengenossenschaften ein. Erfolgreich gründete sie weitere verschiedene Gewerkschaftssektionen. Sie organisierte in Tabak- und Textilfabriken die Arbeiterinnen – darunter viele Italienerinnen –, die sich nicht fürchteten, für ihre Interessen zu streiken, ja sogar eigene Produktionsgenossenschaften gründeten.

Der Organisationsgrad der Arbeiterinnen nahm zu. Doch wurden sie nicht selbstverständlich in die bestehenden Gewerkschaftsstrukturen eingegliedert. So weigerte sich beispielsweise 1907 der Verband der Lebens- und Genussmittelarbeiter, die neue Sektion der Arbeiterinnen der Firma Vautier in Yverdon aufzunehmen. Frauen verdienten weniger und würden die Gewerkschaftskasse zu sehr belasten, argumentierten die Genossen. Als die Arbeiterinnen von Vautier damals streikten, fungierten ihre männlichen Kollegen unter dem Schutz der Armee und unter Gewährung einer Lohnerhöhung von fünfzig Rappen pro Tag als Streikbrecher. «So etwas Gemeines ist nie dagewesen!», empörte sich die Arbeitersekretärin Faas-Hardegger. Nur weil die gewerkschaftlich organisierten Tabakarbeiterinnen auf eine Entschädigung aus der Streikkasse verzichteten, anerkannte sie der Verband schliesslich als Sektion und unterstützte er den von ihnen geforderte Boykott der Firma Vautier. *3

„Von Anfang an herrschte dicke Luft auf dem Sekretariat“, schreibt Biographin Regula Bochsler.*4 Margarethe Faas-Hardegger versuchte, sowohl ihren Beruf als auch die Familie in ihrem Sinne zu vereinbaren du arbeitete häufig von zu Hause aus. Sie wollte mit ihrem Ehemann und den zwei Kindern einen gleichberechtigten Haushalt führen. Heutzutage würde man sagen, sie wurde gemobbt: Sie wurde schikaniert, wurde verschrien als chaotisch und unberechenbar, sollte Berge von Papierkram erledigen und es wurde versucht sie am direkten Kontakt mit den Arbeiterinnen, an Vortragsreisen, zu hindern.  

Eine erste Kündigung wurde wieder zurückgenommen, die Arbeiterinnenvereine hatten vermutet, dass sie sich offensichtlich „mehr gegen das Geschlecht als die Person richtet“ und erfolgreich Druck gemacht.

Sie besuchte im Jahre 1905 erstmals den Monte Verita in Ascona und machte in der Folge die Bekanntschaft mit einigen Anarchisten, u.a. Fritz Brupbacher, mit denen sie ab da enge Verbindung hielt.

Ab 1906 gab sie eine Zeitschrift heraus, zuerst auf deutsch die „Vorkämpferin“ und ein Jahr später in französischer Sprache „L’Exploitée“, die sich direkt an Arbeiterinnen wandten. 1907 nahm sie an der Internationalen Konferenz der Sozialistischen Frauen teil, wo sie unter vielen anderen auch Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Alexandra Kollontaj kennen lernte und kämpfte fortan vehement für das Frauenstimmrecht. Auch am ersten Frauenstreik der Schweiz von Schokoladearbeiterinnen im Welschland (Westschweiz) war sie in diesem Jahr beteiligt.

Beim sog. Zürcher Anarchistenprozess von 1907 gab sie einem der Angeschuldigten, dem mit ihr befreundeten Ernst Frick, ein falsches Alibi. Dabei ging es darum, dass die Zürcher Polizeikaserne überfallen wurde, um den in Auslieferungshaft sitzenden russischen Revolutionär Georg Kilaschitzky, zu befreien, was jedoch scheiterte.

1913 wurde Margarete wegen Falschaussage zu vier Monaten Gefängnis verurteilt und muss die für damalige Verhältnisse horrenden Verfahrenskosten von 1200 Franken bezahlen. Sie verliert nicht nur jede bürgerliche Respektabilität. Weil sie einen gewaltbereiten Anarchisten schützen wollte, wendet sich auch die organisierte Arbeiterbewegung gegen sie.  Die ganze Geschichte ist hier nachzulesen. *5

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1908 hatte sie die Bekanntschaft von Gustav Landauer und Erich Mühsam gemacht und war mit beiden eine Liebesbeziehung eingegangen. Unter dem Namen Mark Harda hatte sie Landauer für eine Vortragsreise eingeladen. Gemeinsam mit Landauer gründete sie den Sozialistischen Bund und dessen Zeitschrift “Der Sozialist”. In der Zeitschrift schrieb sie vor allem über Frauenemanzipation. Der SB organisierte sich in unabhängigen Gruppen, die sich zu regionalen „Gruppengemeinden“ föderieren sollten, was nur in Berlin und Umgebung zeitweilig gelang. Auf dem Höhepunkt seiner Aktivität zwischen 1910 und 1911 zählte der SB etwa 24 Gruppen vor allem in Deutschland und der Schweiz.

Vor allem ihre antimilitaristische Haltung, ihre Parteilichkeit für Frauen und ihre aktionsorientierte Gewerkschaftspolitik – den direkten Aktionen der Arbeiterinnen und Arbeiter maß sie eine besonders hohe Bedeutung bei – und überhaupt ihre “freigeistigen Ideen” führten zu den Vorwürfen der Unzuverlässigkeit und im Januar 1909 zur zweiten nun erfolgreichen Kündigung der Stelle beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund. In der «Vorkämpferin» veröffentlichte sie einen Abschiedsbrief: «Und so beherrschte mich allmählich nur der eine Wille: (…) Euch zu zeigen, wie man zusammenlebt und zusammenarbeitet, ohne Lohnsystem, ohne Unterdrückung – einfach in Freiheit. Nun kommt man und sagt, ich passe nicht mehr zu Euch. Das finde ich nicht – ich gehöre zu Euch.»*6

Wegen Verbreitung von „unsittlicher Literatur” – nämlich über Verhütungsmittel – wurde sie verhaftet und musste eine kurze Strafe verbüßen. Immer wieder setzte sie sich für die Unterstützung von gefangenen Anarchisten ein, u.a. trat sie 1910 im „Geheimbund-Prozess“ gegen Erich Mühsam zusammen mit Landauer und Thomas Mann als Entlastungszeugin auf. Landauer brach kurz darauf mit ihr und enthob sie aller Funktionen im Sozialististischen Bund. Den Vorwand bildete ihre Verurteilung im Jahre 1913 wegen falscher Zeugenaussagen zugunsten von Ernst Frick. Im Gegensatz zu Landauer trat sie offen für die “Freie Liebe” und die Emanzipation von Frauen ein und vertrat diese Linie auch im „Sozialist“. In einem Vortrag in Bern z.B. verkündete sie unverblümt: „Die heutige Frau braucht keine Ehe mehr, sie kann für sich selber sorgen.“ Die Ehe sei ohnehin nur „den Nützlichkeits- und Räuberinstinkten des Mannes“ geschuldet. Landauer ergriff die Verurteilung als Vorwand, um sie aus dem Sozialistischen Bund zu entlassen.

1915 wurde Margarethe zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt, wegen “Beihilfe zur Abtreibung”. Tatsächlich hatte sie mittellosen Frauen zu Abtreibungen verholfen, ohne allerdings – wie ihr der Staatsanwalt vorhielt – dafür horrende Summen verlangt zu haben. Vielmehr steckte sie mittellosen Frauen, welche die in Rechnung stehende Summe für die Abtreibung nicht aufbringen konnten, etwas zu. Fortan war sie als «Zuchthäuslerin» abgestempelt und musste Bern Richtung Tessin verlassen.

In den nächsten Jahren war sie vor allem in verschiedenen Kommune-Projekten aktiv. Die Projekte scheiterten an der Armut der Siedler und interner Differenzen; zurück blieb ein kleines Unternehmen mit Hans Brunner, der eine Schreinerei betrieb, für die sie die Buchhaltung machte. Später, im Jahre 1950, heiratete sie ihn.

Mitte der 1920er Jahre wurde Margarethe für die Rote Hilfe aktiv, die in der Schweiz 1923 gegründet worden war und die 1927 etwa 2000 Mitglieder hatte, vor allem parteilose. Sie war für die Rote Hilfe eine wichtige Aktivistin, da sie über vielfältige Verbindungen verfügte. Auch an dem Plan, im Tessin ein Kinderheim nach dem Muster des Barkenhoff einzurichten war sie neben Heinrich Vogeler, Mentona Moser und Fritz Jordi beteiligt. Margarethe hatte schon zwei Lehrerinnen für die Leitung gefunden aber der Plan zerschlug sich, da der Umbau des gefundenen Objekts zu teuer geworden wäre. Sie beteiligte sich an den Kampagnen der RH in der Schweiz, wie 1926 für die Solidarität mit den streikenden Zimmerleuten in Zürich oder internationalen Kampagnen wie die Übernahme von Patenschaften für politische Gefangene in Cottbus. Zunehmend wichtiger wurde die Unterstützung von politischen Flüchtlingen, 1927 versteckte sie Paul Eckstein, einen Mitkämpfer von Max Hoelz. Ab 1933 wurde diese Arbeit immer intensiver: Margarethe nutzte ihre Verbindungen um Flüchtlingen Unterkünfte, auch illegale, zu vermitteln, und das Alltagsleben überhaupt zu organisieren.

1936 war sie beteiligt an der Gründung des „Comitato Pestalozzi“ zur Betreuung von Waisen aus dem spanischen Bürgerkrieg.

Nach dem Krieg engagierte sie sich in der antimilitaristischen Bewegung und koordinierte z.B. die Unterschriftensammlung zum „Stockholmer Appell“ mit der Forderung des Verbots von Nuklearwaffen im Tessin und nahm an mehreren internationalen Konferenzen teil. 1953 wurde das Comitato Pestalozzi reaktiviert um u.a. Hilfe für die Kriegsgeschädigten in Korea zu organisieren, außerdem beteiligte sie sich an der „Arbeiter- und Bauernhilfe“, einer Organisation, die von der Polizei als Nachfolgerin der RH eingestuft wurde, und an einer Kampagne für das Frauenstimmrecht. 1963 nahm sie am ersten Ostermarsch von Lausanne nach Genf teil.

1958 erlitt Margarethe einen ersten Schlaganfall. Nach dem zweiten im Februar 1963 war sie halbseitig gelähmt. Dennoch reiste sie wenige Wochen später nach Nyon, um an einem Ostermarsch teilzunehmen. Am 23. September des gleichen Jahres verstarb sie.

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*1 Margarethe Faas-Hardegger:  The Organisation of proletarian women in Switzerland.

*2 https://www.workzeitung.ch/2019/06/die-macht-einfach-was-sie-will/

 *3 https://www.woz.ch/-383e

*4 Regula Bochsler. Ich folgte meinem Stern

*5 Regula Bochsler Anarchisten in der Schweiz / 7

*6 Sabine Hensel: Margarethe Hardegger – Kämpferin für die Frauenrechte

 

 

Publikationen zu Margarethe Hardeggerh4
 

  • Regula Bochsler: Der Überfall auf die Zürcher Polizeikaserne 1907, in: Dehmlow Raimund, Gottfried Heuer (Hrsg.): Bohème, Psychoanalyse & Revolution. 3. Internationaler Otto Gross Kongress: Ludwig-Maximilians-Universität, München 15.–17. März 2002. LiteraturWissenschaft.de, Marburg an der Lahn 2003, ISBN 978-3-936134-06-3.
  • Regula Bochsler: Ich folgte meinem Stern. Das kämpferische Leben der Margarethe Hardegger. Pendo, Zürich 2004, ISBN 3-85842573-7.
  • Ina Boesch: Gegenleben. Die Sozialistin Margarethe Hardegger und ihre politischen Bühnen. Chronos, Zürich 2003, ISBN 3-0340-0639-X.
  • Monica Studer: Der Schweizerische Gewerkschaftsbund 1905-1909 und seine Sekretärin Margarethe Faas. In: Ernest Bornemann (Hrsg.): Arbeiterbewegung und Feminismus. Berichte aus vierzehn Ländern. Ullstein, Frankfurt am Main 1982, ISBN 3-548-35138-7.
  • https://www.workzeitung.ch/2019/06/die-macht-einfach-was-sie-will/
  • Bochsler: Margarethe Hardegger (1882–1963): Ihre Jugend in Bern und ihr Aufstieg zur Gewerkschaftsführerin https://www.bezg.ch/img/publikation/04_4/bochsler.pdf
  •  Regula Bochsler: Auszug aus Ägypten. Margarethe Hardegger und die Siedlungspioniere des sozialistischen Bundes im Tessin, in: Andreas Schwab, Claudia Lafranconi (Hrsg.): Sinnsuche und Sonnenbad. Experimente in Kunst und Leben auf dem Monte Verità. Limmat, Zürich 2001, ISBN 3-85791-369-X.