FreeLINA United we stand – Trotz alledem, autonomen Antifaschismus verteidigen! – Aufruf zu TagX nach der Urteilsverkündung

Wir teilen an dieser Stelle den Aufruf zu TagX nach der Urteilsverkündung – Originaler Aufruf auf Englisch und Deutsch auf https://tagxantifaost.noblogs.org/

( siehe auch: https://www.soli-antifa-ost.org > dort sind unter anderem regelmässig Berichte zu den Prozesstagen zu lesen > unten gibt es hier noch einen offenen Brief an das SolibündnisAntifaOst)

“Am 8. Mai 1945 zerstörten die Alliierten den nationalsozialistischen Traum vom 1000-jährigen Reich. Das deutsche Militär mitsamt der letzten Mobilisierung des Volkssturms war geschlagen, Hitler nahm sich in seinem Führerbunker in Berlin das Leben, zahlreiche Nazigrößen wurden inhaftiert und zum Teil hingerichtet, sämtliche Organisationsstrukturen des Nationalsozialismus wurden zerschlagen und verboten, seinen Einfluss auf alle gesellschaftlichen Bereiche galt es zu beseitigen. Entsetzt über die tiefe Verankerung der nationalsozialistischen Ideologie im deutschen Volk sollte dieses so zu Demokratie und Menschenrechten umerzogen werden.

Aber das Projekt scheiterte. Auch unter dem Einfluss des wachsenden Konflikts zwischen den alliierten Westmächten und der Sowjetunion schafften es zahlreiche Nazis, sich der Verfolgung der Alliierten zu entziehen. Sie dienten sich als Unterstützung im Kampf gegen den Kommunismus an und sickerten so und über viele andere Umwege zurück an ihre alten Posten. Sie besetzten erneut Richterstühle, reorganisierten die Geheimdienste, fanden Platz in den neuen Volksparteien, wurden Teil von Polizei und Verwaltung. Auch in der Bevölkerung hielt sich hartnäckig das nationalsozialistische Denken. Und so stand Deutschland nur wenige Jahre nach dem 8. Mai da als nach außen hin geläuterter Demokratie, aber im Innern alles andere als „entnazifiziert“. Und auch wenn im selbsternannten antifaschistischen „Arbeiter und Bauernstaat“ (DDR) Altnazis zunächst konsequenter verfolgt wurden und höhere Posten in Staat und Gesellschaft nicht erreichen konnten, blieben auch hier Nazis unbehelligt. Vielmehr zeigte sich schon bald und anhaltend, dass der Geist des Nationalsozialismus fortweste, mal verschämt und manchmal ganz offen.

Zwar schrieben sich beide deutschen Staaten den Kampf gegen den Faschismus und gegen das Wiedererstarken des Nationalsozialismus auf je ihre Weise selbst auf die Fahnen, aber zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte konnten diese Behauptungen über sich selbst eingelöst werden. Verstrickungen zwischen staatlichen Behörden und alten wie neuen Nazis, oder selbst ein offener Bezug auf rechtes Gedankengut sind an der Tagesordnung und haben sich zuletzt sogar noch intensiviert. Überdies unterblieben wesentliche Anstrengungen, die Gründe für den Nationalsozialismus in Deutschland aufzudecken, von staatlicher und auch gesellschaftlicher Seite stets sabotiert. Ersetzt wurde eine tiefergehende Auseinandersetzung durch ein fortwährendes Jammern und Klagen über die Last der deutschen Schuld und das Missfallen darüber, dass nicht endlich in Vergessenheit geraten könnte, was nicht vergessen werden darf.

Der Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus war in Deutschland schon immer ein Kampf, der von unten geführt werden musste. Es waren alte Kommunist*innen und Anarchist*innen, Gewerkschaftler*innen und Vereine wie der VVN/BdA, die nach dem Ende des Nationalsozialismus erkannten, dass der Kampf gegen den Faschismus nicht gewonnen und nicht zu Ende war. Unterstützung erhielten sie dabei nie vom Staat und oft genug nicht von der Gesellschaft, sondern vielmehr erfuhren sie Repression. Erst, in den 1960er-Jahren radikalisierte sich ein Teil der Student*innen und schloss sich dem Kampf gegen den Faschismus und für eine freie Gesellschaft an.

Allen Anstrengungen zum Trotz gelang es der faschistischen und nationalsozialistischen Rechten sich über das Verbleiben von Altnazis in staatlichen Strukturen hinaus zu reorganisieren. Zunehmend seit den 1980er-Jahren wurde versucht, den Kampf vor allem gegen sog. Gastarbeiter*innen und politische Gegner*innen auf die Straße zu tragen. In der DDR formierte sich zudem eine aktive, rechte Skinheadbewegung, angeleitet durch Nazis, welche die Ursache dafür darstellt, was im wiedervereinigten Deutschland der 90’er als „Baseballschlägerjahre“ in Erinnerung blieb. Der Staat stellte sich in keiner Weise gegen den offen rassistisch auftretenden Mob aus Neonazis und „ganz normalen Deutschen“, sondern schlug sich stattdessen inhaltlich auf deren Seite, während das Bildungsbürgertum betroffen dreinschauend ein paar Lichterketten bildete. Dies ist es, was der bürgerliche Antifaschismus leisten konnte und kann.

Jedem denkenden und mitfühlendem Menschen ist jedoch klar, dass es nur ein Mittel geben kann, den erstarkenden Faschist*innen und Nationalsozialist*innen Einhalt zu gebieten: Die unmittelbare Konfrontation des faschistischen Feindes, den Kampf um die Straße aufzunehmen und wo es nur geht gegenüber der faschistischen Raumnahme Widerstand zu leisten. Sie zurückzuschlagen wo es nur geht, ihre Versammlungen auseinanderzutreiben, ihre Rückzugsorte aufzudecken und zu verunmöglichen. Ihren geheimen Treffen nachzuspüren, ihre Strukturen zu infiltrieren, ihre Arbeitsstellen zu finden und bekanntzumachen. Und daneben: Das Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors wachzuhalten, die faschistische Ideologie zu entlarven, ihre Propaganda zu enthüllen und die Forschung über die Hintergründe und Ursachen des Faschismus aufzuhellen, um diese zu verstehen. Es ist dies: Der autonome Antifaschismus. Es sind Wir.

Seit es den autonomen Antifaschismus gibt, müssen wir uns nicht nur mit dem faschistischen Feind beschäftigen, sondern auch mit der Repression des Staates gegen uns, wie auch mit Anfeindungen aus der Gesellschaft heraus, die vielmehr als in Neonazis und Faschist*innen, in uns das Problem der Zeit sehen.

Die Repression wird Besonders deutlich an zahlreichen Ermittlungsverfahren gegen autonome Antifaschist*innen nach § 129 und 129a/b StGB, welche zum einen für weitreichende Bespitzelung stehen und zum anderen bewusst den organisierten Antifaschismus als eine Sache von kriminellen und terroristischen Gruppen einordnen. Dieses Strafrecht und seine Anwendung zeigen dabei, dass der deutsche Staat und seine Neonazis in Reaktion auf den sich autonom organisierenden Antifaschismus so feste zuschlagen wollen, wie es – auf der legalen Seite – ihre Gesetzbücher nur hergeben.

Und auch heute werden erneut Genoss*innen von uns inhaftiert und mit Verfahren überzogen, weil ihnen vorgeworfen wird, dem Faschismus die Stirn geboten zu haben. Lina sitzt nun seit fast 2 Jahren in Haft, in der sexistischen Annahme des Staates, dass sie unter dem Druck der Ermittlungsbehörden zusammenbricht und kooperiert. Geht es nach dem Willen der Staatsanwaltschaft, welcher der gleiche Wille ist wie der von rechten Hetzer*innen jedweder Couleur, sollen die 4 Angeklagten und weitere Beschuldigte für viele Jahre ins Gefängnis gehen. Der Staat, vertreten durch die Generalbundesstaatsanwaltschaft, präsentiert sich im Verfahren als Verfechter der Meinungsfreiheit und des gesellschaftlichen Friedens, als übergeordnete und unparteiische Instanz, die gegen eine Vereinigung von Kriminellen vorgeht. Aber das ist geheuchelt: Er selber ist es ja, der den gesellschaftlichen Unfrieden produziert, mit seinen Gesetzen und Behörden Neonazis schützt, diese selbst hervorbringt und auch in seinen eigenen Behörden anstellt und duldet. Der Staat ist in diesem Verfahren nicht mehr als ein Beschützer und Verteidiger von Faschist*innen und Nationalsozialist*innen, egal, was er da selbst über sich befinden und erzählen mag.

Auch wenn das Antifa Ost-Verfahren noch nicht zu Ende ist und das Urteil noch aussteht, befürchten wir, dass es nicht zugunsten der Beschuldigten ausgehen wird. Bei dieser Erwartung spielt für uns dabei keine Rolle, ob die im Raum stehenden Taten von den Beschuldigten tatsächlich begangen wurden oder nicht. Schließlich geht es nicht um die konkreten Taten, sondern es geht um den Angriff auf den autonomen Antifaschismus und auf autonome Antifaschist*innen: Die Beschuldigten werden an unserer Stelle auf den Präsentierteller gesetzt und dort stellvertretend für uns alle rund gemacht. An ihrem Unglück und am aufreibenden und lähmenden Verfahren sollen wir und alle anderen zu sehen bekommen, was uns blüht, wenn wir uns autonom und wirkungsvoll gegen Neonazis zur Wehr setzen.

Es spielt daher auch für das Gericht und die Staatsanwaltschaft keine Rolle, ob die Beschuldigten die vorgeworfenen Taten begingen oder nicht. Es wird repräsentativ ein Verhalten bestraft. Ein Verhalten, dass wir alle nicht an den Tag legen sollen, oder sagen wir besser: dass wir nicht einmal im Ansatz an den Tag legen sollen. Antifaschismus, dass soll uns deutlich gemacht werden, soll nicht mehr sein als eine Mischung aus betroffenen und wohlgefälligen Sonntagsreden, aus Repression in Bezug auf sog. rechte „Einzelfälle“, die sich vor allem dadurch erschöpft, dass sie sich im medialen Rampenlicht abspielt, aus Fachsimpelei und geheucheltem Verständnis. Wenn wir bei diesem, von einem zutiefst rassistischem Staat akkreditierten Antifaschismus nicht mitmachen, dann sind wir keine Antifaschist*innen, wenn wir da nicht mitmachen wollen, dann sollen wir uns raushalten.

Wir aber lassen uns weder verdummen noch einschüchtern. Wir stehen an der Seite der beschuldigten Genoss*innen und endsolidarisieren uns mit Menschen, die die Seite gewechselt haben. So lange die Wurzeln des Faschismus nicht herausgerissen sind, werden wir gegen ihn kämpfen, und so lange, wie Genoss*innen von staatlicher Repression bedroht und drangsaliert werden, werden wir an ihrer Seite stehen. Die aktuellen staatlichen Angriffe sind gerade deswegen auch so fatal, weil sie Angst und Unsicherheit in den antifaschistischen Strukturen säen sollen, gerade zu der Zeit, wo autonomer Antifaschismus so bitter nötig ist, wie lange nicht.

Unserem anhaltenden Willen, sich alten wie neuen Nazis und dem Faschismus in welcher Ausprägung auch immer in den Weg zu stellen, sowie unserer Solidarität mit allen verfolgten Antifaschist*innen wollen wir Ausdruck verleihen. Wenn ein Urteil im Antifa Ost-Verfahren gesprochen wird – egal wie es ausfällt – werden wir am darauffolgenden Samstag in Leipzig auf die Straße gehen und Staat, Justiz und Polizei zeigen, was wir davon halten, wenn Genoss*innen drangsaliert und in Knäste gesteckt werden.

Getroffen hat es einige – gemeint sind wir alle!

Es lebe der autonome Antifaschismus!

Kommt zur autonomen Tag-X Demo in Leipzig am Samstag nach der Urteilsverkündung im Antifa Ost-Verfahren!

Offener Brief an das SoliAntifaOst

https://www.soli-antifa-ost.org/offener-brief-an-das-sao/

Hiermit veröffentlichen wir mit viel Wertschätzung einen an uns adressierten Brief:

Dieser Prozess läuft jetzt seit einem Jahr und Lina sitzt seit November 2020 in U-Haft. Die BAW versucht eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren, obwohl es weder Bekenner*innenschreiben noch sonstige Veröffentlichungen einer angeblichen Struktur gibt. Zu Recht wird dieses Verfahren von vielen als schwerwiegendster Angriff der Repression seit langer Zeit auf uns eingestuft. Der Prozess läuft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes und die Solistruktur begleitet jeden Prozesstag und veröffentlicht umfangreiche Mitschriften dazu – Danke dafür! . Man muss leider davon ausgehen, dass am Ende dieses Prozesses nicht unbedingt ein Freispruch für alle stehen wird, sondern das Gegenteil. Diesen Eindruck konnte mensch bereits seit langem haben. Seit Juni 2022 hat sich die politische Lage noch einmal verschärft, weil der Mitbeschuldigte im abgetrennten Verfahren, JD, die Seiten gewechselt hat und sich Bullen, BAW, VS und dem Gericht als Kronzeuge zur Verfügung stellt. . Seine Aussagen vor Gericht werden ebenfalls von der Solistruktur publiziert.

Wir kennen weder JD, noch die Angeklagten. Wir haben aber seit langer Zeit als interessierte GenossInnen viele Prozesse gegen Leute von uns in verschiedenen Funktionen „begleitet“. Uns sind dabei unterschiedliche Strategien der Angeklagten begegnet, offensive, defensive….Wir haben dazu auf keinen Fall eine dogmatische Einstellung, außer dass wir reuevolle Geständnisse immer peinlich, deplaziert und politisch würdelos finden. Jeder Prozess hat seinen speziellen Hintergrund, vor dem die Angeklagten – hoffentlich immer in Diskussion mit ihrem politischen Umfeld – ihre jeweilige Strategie finden und umsetzen. Ratschläge von außerhalb an Angeklagte sind meistens problematisch. Denn diejenigen, die sie geben, sitzen oft lediglich vor ihrem Laptop-Bildschirm und die angeklagten GenossInnen sind in vorderster Reihe – wie hier – mit der BAW und einem Staatsschutzsenat konfrontiert. Deshalb haben wir auch an dieser Stelle von den Angeklagten weder etwas zu fordern, noch sie zu einem bestimmten Verhalten aufzurufen, aber wir möchten unsere Überlegungen dazu äußern. . Dies wollen wir in jedem Fall auf solidarische Art und Weise tun und wir hoffen, dass es uns gelingt und dass dies auch bei an AdressatInnen so empfunden wird.

Wir glauben, dass der Prozess durch die Aussagen von JD eine verschärfte politische Dimension bekommen hat. Dies nicht durch seine Aussagen, wer angeblich wann mit wem was auch immer getan, gesagt oder gelassen haben soll. Der Staatsschutzsenat hatte seine Beweisaufnahme quasi abgeschlossen und wäre zur Verurteilung geschritten – die Aussagen von JD hat er nicht unbedingt gebraucht. Insoweit mögen juristisch die Belastungen von JD gegen die Angeklagten den bisherigen Stand der Beweisaufnahme bestätigen, aber im Endergebnis würde wohl auch ohne seine Aussagen der gleiche Scheiß rauskommen.

Uns geht es um den politischen und auch medial wahrgenommenen Charakter des Prozesses und die „politischen“ Aussagen von JD, seine Angaben zu seiner angeblichen Politisierung, seiner angeblichen Radikalisierung usw. Wie mensch den Prozessmitschriften entnehmen kann, kommt von JD zu allen Fragen des Gerichts hinsichtlich des Werdegangs eines auch ehemals militanten Antifaschisten ein ziemlich hohles Gestammel. Warum mensch dem Staat und seinen Organen bei der Bekämpfung von Nazis nicht vertrauen kann, warum es nötig ist, sich zu organisieren, warum Nazis eine solche Bedrohung darstellen usw.usf. sind Fragen, zu denen Antifaschist*innen umfangreich Stellung nehmen könnten. Hierzu kommt von JD allenfalls dummes Zeug.(https://www.soli-antifa-ost.org/bericht-vom-60-prozesstag-mittwoch-28-07-2022/ etc.) ) Hierbei ist es egal, ob er selbst so dumm und unpolitisch ist bzw. war, wie er tut, ob ihm seine Vergangenheit mittlerweile peinlich ist oder ob er im Auftrag des VS nur unpolitischen Kram von sich gibt. Uns geht es um die Wirkung, die das Gestammel von JD hervorrufen kann. Wir haben die Befürchtung, dass politisch die Delegitimation von (militantem) Antifaschismus von diesem Prozess übrig bleiben könnte . Alle, außer die wenigen, die es besser wissen, bekommen lediglich die Aussagen von JD mit, denen bisher im Prozess nichts angemessenes entgegengesetzt wird. Und es ist ein Unterschied, ob wer auch immer auf Seiten im Internet, etwas dagegensetzt oder ob es eine direkte politische Konfrontation im Gerichtssaal zu den politischen Hintergründen gibt.

Politische Prozessführung gibt es in diesem Land – zumindest seinen westlichen Bestandteilen – spätestens seit der Revolte 1968. Mal sind sie spektakulärer, mal nicht, mal werden sie von interessierter Öffentlichkeit begleitet und häufig nicht. Ein paar Verfahren halten wir für vergleichbar mit dem jetzigen Verfahren in Dresden.

Zum Beispiel den sog. Mackenrode-Prozess in Göttingen 1998. Im Oktober 1991 hatten mehrere Dutzend wenn nicht mehr als einhundert Antifas das FAP-Schulungszentrum in Mackenrode am hellichten Tag militant angegriffen. Unter anderem wurde ein Nazi durch einen Schuss mit einer Zwille ziemlich schwer im Gesicht verletzt. Die politische Staatsanwaltschaft versuchte eine Anklage wegen versuchten Totschlag zu produzieren und zerrte fünf GenossInnen vor das Landgericht Göttingen. Niemand von den Fünfen saß glücklicherweise auch nur einen Tag in U-Haft. Im Prozess sagten eine Reihe von FAP-Kadern als Zeugen aus und bemühten sich redlich, mindestens einen Teil der Angeklagten zu belasten. Nach jeder Vernehmung eines Nazizeugen gaben die Angeklagten abwechselnd eine Erklärung zu den Nazis ab. Wie deren politischer Werdegang war, wo sie sich an Angriffen auf Linke, Migrant*innen etc. beteiligt hatten, in welchen Nazi-Strukturen sie organisiert waren, für welche barbarische Ideologie und welchen praktischen Terror die jeweilige Struktur stand, etc. Über Bande sollte damit vermittelt werden, dass ein Sich-Wehren und auch ein Angriff auf solch gewalttätige Neonazis seine Berechtigung hat. Die GenossInnen kamen durch ihre offensiven Erklärungen ins selbstbestimmte Handeln und konnten eine Stärke in der grundsätzlich unangenehmen Prozess-Situation gewinnen. In diesem Beispiel zeigte sich, dass auch der Gerichtsaal ein politisches Terrain für linke Angeklagte sein konnte.

Ein anderes – nicht so tolles – Beispiel stellt der RZ-Prozess in Berlin Anfang der Nullerjahre dar. Auch dort gab es einen Kronzeugen – Tarek Mousli – , der zur BAW übergelaufen war. Die Verfahrenslage ähnelt dem aktuellen Prozess in Dresden. Beim RZ-Verfahren war allerdings von vornherein klar, dass es einen Kronzeugen gab. An diesem hing alles, andere Beweise gegen die Angeklagten existierten quasi nicht. Die damaligen Angeklagten setzten den Aussagen von Mousli nichts eigenes entgegen, sondern verließen sich völlig auf eine juristische Verteidigung. Viele verstanden damals die Aussagen von Mousli nicht nur als juristisches Mittel, mit deren Hilfe die BAW eine Verurteilung der Angeklagten durchsetzen konnte, sondern auch als einen politischen Angriff ^1 <#sdfootnote1sym>. Auch die jetzigen Aussagen von JD verstehen wir als einen politischen Angriff, und deshalb diskutieren wir über Möglichkeiten des Reagierens.

In einem weiteren RZ-Prozess in Frankfurt zur gleichen Zeit versuchte der Kronzeuge Hans-Joachim Klein ehemalige RZ-Miglieder schwer zu belasten. Der Versuch scheiterte sowohl juristisch wie politisch. Dies lag einzig und allein daran, dass ein anderes früheres RZ-Mitglied (Gerhard Schnepel) auf Antrag der Verteidigung bereit war, über Klein und RZ-Strukturen der 1970er Jahre geschickt auszusagen, ohne dabei Schaden für Beschuldigte oder andere Strukturen anzurichten. So war es möglich, Kleins Denunziationen zu widerlegen. Die BAW kam mit ihrem Versuch, linksradikalen Widerstand zu diskreditieren, nicht durch.

Der politische Angriff ging damals und auch heute weit über die Angeklagten hinaus. Er gilt einer ganzen politischen Bewegung, damals den ProtagonistInnen sowohl des bewaffneten Kampfes als auch der militanten Aktionen und ihren Unterstützer*innen. Heute wird auf die gesamte antifaschistische Bewegung gezielt und speziell auf den militanten Flügel derselben. Die Soligruppe versucht sehr engagiert, diese Angriffe – die durch die Kriminalisierung lange vor den Aussagen von JD begannen – zurückzuweisen und vertritt explizit politische antifaschistische Inhalte. Dies geschieht in Pressemitteilungen, auf den regelmäßigen Kundgebungen, aber leider im wesentlichen im Netz. Bundesweite Veranstaltungen dazu in vielen Städten mit möglichst viel Publikum? Leider Fehlanzeige. Die interessierte Öffentlichkeit ist leider nur die übliche – eine kleine radikale Minderheit. Dabei wird in der bürgerlichen Presse relativ häufig über den Prozess berichtet – aber Journalist*innen berichten nun mal in erster Linie darüber, was im Gerichtssaal geschieht.

Wenn nicht versucht werden sollte, den Aussagen von JD – und zwar im Prozess – etwas entgegenzusetzen, dann sehen wir die Gefahr, dass die angeklagten GenossInnen nicht nur verurteilt werden, sondern die BAW mit ihrem Versuch durchkommt, antifaschistischen Widerstand zu diskreditieren und zu denunzieren. Dann würde im schlimmsten Fall in der Öffentlichkeit übrig bleiben, dass politisch nicht so bewusste Menschen ein paar Nazis zusammengeschlagen haben. Warum und wieso? Weiß mensch halt leider nicht.

Was könnte denn JD und seinen Aussagen entgegengesetzt werden? Eventuell politische Erklärungen der Angeklagten z.B. dazu, warum antifaschistische Selbstorganisierung in diesem Land unabdingbar ist und warum mensch sich nicht auf staatliche Behörden im Kampf gegen rechts verlassen kann. Dazu könnte einiges gesagt werden, ohne dass es zu offensiv wird. Vielleicht würde es den Angeklagten auch danach und dadurch etwas besser gehen, wenn sie zumindest versuchen dem politischen Angriff etwas entgegenzusetzen. Eine andere Perspektive auf Antifaschismus in die Berichterstattung zu bekommen, würde nicht leicht und kein Automatismus sein, aber es bestünde eben eine Chance darauf, wenn Angeklagte politische Erklärungen abgeben würden. Wohl gemerkt: wir haben von den Angeklagten nichts zu fordern. Sie sitzen dort zwar lediglich zu viert vor dem Staatsschutzsenat, aber gemeint sind wir alle und der politische Angriff gilt auch uns allen. Wir verstehen auch, wenn in einer solchen Situation nicht der militanten Widerstand legitimiert und offensiv davon gesprochen wird, dass es gut und richtig ist, Nazis militant anzugreifen. Aber auch unterhalb dieser Schwelle könnte – und wir sind der Meinung /sollte/ – versucht werden, dem Kalkül der BAW zu begegnen. Denn wir glauben nach wie vor an die Möglichkeit der Vermittlung von linker und linksradikaler Politik. Gerade auch im Bereich Antifaschismus und auch im Gericht bestehen Spielräume, Legitimierung oder Anerkennung dieser „Institution“ hin oder her….

Wir denken, es wäre bitter, wenn von diesem Verfahren vor allem im Gedächtnis bliebe: „Vergewaltiger“ „Kronzeuge“ „Verurteilung“. Vielleicht gibt es Möglichkeiten, dass wir alle viel mehr darüber nachdenken, reden und danach handeln, was die Notwendigkeit von (militantem) Antifaschismus heute bedeutet.

Solidarische Grüße