Erinnerung an GÜNTER SARE

1985 am 28. September, vor etwa 40 Jahren, starb Günter Sare

1985 war das Jahr, gerade einmal 40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, als der Faschismus noch sehr präsent war in der Gesellschaft und auch viele alte Faschist_innen noch lebten.

1985 war das Jahr, in dem der Bundeskanzler Kohl den US Präsidenten Reagan nach Bitburg begleitete um sich dort über Gräbern unter anderem von Angehörigen der Waffen SS die Hände zur Versöhnung zu reichen, ein Vorgang, den Habermas als „Die Entsorgung der Vergangenheit“ titulierte. Andere Kritiker_innen wurden als durch eine „mächtige publizistische Maschinerie“ verhetzt beschrieben, eines von vielen antisemitischen Stereotypen, die dazu ausgegraben wurden.

1985 war das Jahr, in dem der NPD der Saalbau Haus Gallus für ein Treffen zur Verfügung gestellt wurde. Hier in diesem Haus Gallus hatte 1964 der erste Frankfurter Auschwitzprozess stattgefunden. Erstmalig kamen dabei deutsche SS-Leute vor Gericht, Täter aus Auschwitz, von denen kein einziger ein Anzeichen von Reue zeigte. Die NPD inszenierte also eine bewusste Provokation.

Es formierte sich schnell ein breiter Protest. NPD-Gegner_innen vieler Richtungen – von Stadtteil- und Migrant_innengruppen bis zu Antifaschist_innen aller Art versammelten sich; etwa 1000 Menschen beteiligten sich an einem Freundschaftsfest in der Nähe des Hauses. Die Demonstranten und Demonstrantinnen versuchten, ankommenden Faschisten der NPD den Zugang zum Haus Gallus zu blockieren.

Die Polizei schützte und geleitete die NPDler ins Haus Gallus und begann gleichzeitig gegen die versammelten Demonstrant_innen vorzugehen.

An einer Kreuzung fuhren zwei Wasserwerfer auf um eine kleine Gruppe von Menschen zu zerstreuen, die Gruppe rannte auseinander. Günter Sare wurde mitten auf der Kreuzung von einem Wasserwerferstrahl zu Boden geworfen. Als er wieder auf die Beine kam, fuhr ein zweiter Wasserwerfer um die Ecke und hielt kurz an.

Etlichen Zeugenaussagen von dabei Anwesenden zufolge war Günter Sares Tod kein Unfall. Der Wasserwerfer habe den Mann im Scheinwerfer gehabt und sei schnell und direkt auf ihn zugefahren. Das tonnenschwere Fahrzeug überrollte den am Boden Liegenden.

Die Polizei verwehrte zuerst Sanis und Ärzten die Hilfeleistung und vertrieb unter Schlagstockeinsatz weitere zu Hilfe Eilende. Günter Sare wurde vor einen Autoscheinwerfer bugsiert, da die Polizei sich weigerte für Licht zu sorgen. Die Besatzung des besagten Wasserwerfers habe mit Coladosen in der Hand aus dem offenen Fenster heraus gesagt: „Ihr seid die Nächsten“. So erinnert sich später ein damaliger Ersthelfer.

Auch mit der Ambulanz ließen sie sich Zeit, erst nach 20 Minuten traf der Notarztwagen ein. Auf dem Weg ins Krankenhaus starb Günter Sare.

Günter Sare war 36 Jahre alt als er starb. Der Maschinenschlosser war seit vielen Jahren in der linken Szene Frankfurts aktiv. Er baute das selbstverwaltete Jugendzentrum Bockenheim mit auf, war dort auch Vorstandsmitglied und bekannt durch seine regelmäßigen Thekendienste.

Im Anschluss an den Mord an Günter Sare kam es tagelang zu Demonstrationen und Auseinandersetzungen, Demonstrationsverbote wurden ignoriert. Auch in Berlin, Göttingen, Hannover, Hamburg, und München gingen Leute auf die Straßen. Frankfurt glich einem Polizeistaat: Die Polizei kesselte Leute ein, prügelte auch auf völlig Unbeteiligte ein und allein an einem Abend wurden 255 Verhaftete ins Polizeigewahrsam Klapperfeld gebracht. Über Polizeilautsprecher kam die Ansage: “Das nächste Mal sperren wir euch gleich ins Stadion”. (Der Putsch in Chile war auf allen Seiten immer noch gut in Erinnerung).

Die Genoss_innen forderten einen öffentlichen Untersuchungsausschuss, denn: „Die Ermittlung muß aber auch aufdecken, warum immer und immer wieder ausgerechnet antifaschistische Demonstrationen die Polizei und ihre politische Führung zu besonders brutalem und lebensgefährlichem Vorgehen veranlassen. Der Tod Günter Sares schließt sich an die brutalen Einsätze der NPD-Deutschlandtreffen 1977 und 1978 an, an den Versuch, die Rock gegen Rechts Veranstaltung 1979 in Frankfurt und 1980 in Nordhessen zu unterbinden und nicht zuletzt auch an das Vorgehen der Polizei an der Katharinenkirche zum Schutz der neonazistischen FAP in diesem Frühjahr.“ Aus einem Flugblatt nach dem Tod Günter Sares 1985

Seitens der Behörden wurden sofort Desinformationskampagnen betrieben. Es hieß, Günter Sare sei von einem Stein getroffen worden, er hätte den Wasserwerfer mit einem Knüppel angegriffen, er wäre betrunken gewesen, er habe die Verkehrslage falsch eingeschätzt – kurz: er wäre selbst schuld. Unter Mühen gelang es den Angehörigen eine zweite Obduktion durchzusetzen, die als Todesursache zweifelsfrei das Überfahren bewies. Dem Gutachter waren wochenlang wichtige Untersuchungsergebnisse des hessischen Landeskriminalamtes vorenthalten worden.

Die gerichtliche Auseinandersetzung um den Tod von Günter Sare ging 3 Jahre lang durch zwei Instanzen. Im November 1990 sprach das Landgericht Frankfurt die Besatzung des Wasserwerfers vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Die Aussage des Fahrers, er habe auf der Straße keinen Mann gesehen kurz bevor er Günter Sare überrollte, konnte nicht widerlegt werden. Filmaufnahmen der Polizei lagen nicht vor, die Tonaufzeichnungsanlage, die den Funkverkehr mit anderen Einsatzkräften hätte aufnehmen sollen, war just in diesem Augenblick funktionsuntüchtig gewesen. Es gab noch weitere Unstimmigkeiten, sodass die Rechtsanwältin Waltraud Verleih, die die Nebenklage vertrat damals folgerte: „Dies legt den Verdacht der Beweismittelmanipulation nahe“. Aber während einer Demonstration, so erklärte das Gericht, herrsche eine „Kampfsituation“ – und jedem Demonstranten sei bewusst, dass er auf Wasserwerfer zu achten habe.

Während die Justiz und ein von SPD- Innenminister Winterstein beauftragter Sonderermittler noch den „Fall Sare“ untersuchten, wurde Joschka Fischer Umweltminister in der Koalition mit dem SPD- Regierungschef Holger Börner, der hatte noch kurz zuvor „gegen diese Leute“ mit einer Dachlatte losgehen wollen. Die damalige Linke warf Fischer und Cohn-Bendit „Verrat“ vor und forderte den Rückzug der Grünen aus der Regierung. Fischer wurde damals was er heute ist: die „Gewaltfrage“ wird das Kapital schützend im Inneren und imperialistisch nach Außen entschieden.

Der Typ Hochdruckwasserwerfer, dessen Wasserstrahl allein im Naheinsatz töten kann und mit dem Günter Sare umgebracht worden war, wurde nach Südafrika und an die Türkei zur Aufstandsbekämpfung exportiert.

Auf Demonstrationen werden immer wieder Menschen schwer verletzt. Die Polizisten und –Polizistinnen nehmen Tote offensichtlich in Kauf, wie nur zum Beispiel beim G20 in Hamburg, wo bei Polizeiübergriffen hunderte Personen verletzt wurden.

Auch die restlichen Elemente dieser Geschichte, der polizeiliche Geleitschutz für Faschisten, das Verweigern von Hilfe für Verletzte seitens der Polizei, die Desinformationen seitens der Behörden, die Behinderung der Aufklärung bei polizeilicher Gewalt, etc., sind bis heute übliche Verfahrensweisen der rechtsstaatlichen Gewalt in Deutschland.