Dienstag, 14. Mai: “Der Prozess des Hans Litten”

(Taken at Midnight)

Ein Theaterstück von Mark Hayhurst, deutsch von M. Raab

14.05.2024 in der Justus von Liebig Schule, Heisterbergallee 8

Haltestelle: Ehrhartstrasse, Tram 10 nach Ahlem

Einlass 18.00 Uhr

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Geehrtes Publikum, liebe Freundinnen und Freunde,
mein Name ist Hartmut Brückner, ich rede für die Aktivengruppe der Roten Hilfe e.V. in Hannover und ich bedanke mich ganz herzlich für die Zusammenarbeit mit der Otto Brenner Akademie, der Gedenkstätte Ahlem und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen, die diesen Abend ermöglicht haben.

Mittlerweile ist Hans Litten kein Vergessener mehr.
In der Bundesrepublik Deutschland tat man sich allerdings erst einmal schwer damit. 1950 wurde die Mutter Hans Littens von der damaligen Staatsregierung in Bayern als „Vaterlandsverräterin“ bezeichnet.
Das hatte seinen Grund. Die alten Nazis waren in der jungen Bundesrepublik überall – in der Verwaltung, in der Justiz, in den Parlamenten. Die Nazi-Richter hatten das Hakenkreuz von der Robe gerissen und weitergerichtet.
Sie hatten weiter gerichtet mit dem gewohnten Feindbild gegen die gleichen Menschen wie zuvor: So genannte Asoziale, Sinti und Roma, Homosexuelle, Linke, …

Unter anderem in den Auseinandersetzungen darum entstand in den 1970ern die Rote Hilfe neu.
Und aufgrund der Auseinandersetzungen erinnerten sich Juristinnen auf der Suche nach einer progressiven Tradition ihres Berufsstands ab Mitte der 1980er auch an Hans Litten.

Das in der Deutschen Demokratischen Republik schon 1947 veröffentlichte Buch Irmgard Littens erschien endlich auch im Westen,
die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen verlieh 1988 zum ersten Mal den Hans-Litten-Preis.
Sie würdigt seitdem damit eine Haltung, die sich in besonders hohem Maße durch demokratisches und rechtspolitisches Engagement auszeichnet.

Die Berliner CDU aber wollte noch 1992 die Littenstraße umbenennen, und es dauert dann bis 1998, dass im Blatt des Deutschen Anwaltsvereins von Littens heroischem Kampf zu lesen war, nicht allerdings ohne den Hinweis, dass dieser natürlich kein Kommunist gewesen sei.

Nun, das mag sein. Er war nie Mitglied einer Partei.
Seine Mandantschaft jedoch bestand zum größten Teil aus Kommunisten, Anarchisten und anderen revolutionären Sozialisten.
Tatsächlich stand Hans Litten auch politisch an deren Seite.

Das hatte zum einen etwas zu tun mit seiner Kindheit und Jugend. Hans Litten, erzogen in einem jüdisch christlichen Elternhaus, hatte dort eine feine Wahrnehmung für soziale Ungerechtigkeit entwickelt.

Und das hatte zum anderen etwas zu tun mit dem Geschehen in der frühen Weimarer Republik.
Die Arbeiterschaft hatte verzweifelt die Republik gegen die Militärs des antirepublikanischen Kapp-Putsches verteidigt.
Alle Putschisten waren ohne Ausnahme strafrechtlich unbehelligt geblieben, ebenso wie die namentlich bekannten Mörder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Die Justiz war geprägt von der Kontinuität der alten Eliten des Kaiserreichs. Diese waren der Republik überwiegend feindlich gesinnt.
Kein Zufall also, dass bereits 1924 etwa 7000 Arbeiter eingesperrt waren und gegen etwa 18 000 Weitere Verfahren liefen. Von den durch die Freikorps Ermordeten war nie groß die Rede. Die toten Arbeiter aus Hannover liegen vergessen auf dem Stöckener Friedhof…

In dieser Zeit, vor nun genau 100 Jahren, wurde auf Initiative der KPD die Rote Hilfe Deutschland gegründet, ausdrücklich überparteilich konzipiert, um die Arbeiterfamilien in ihrer Not zu unterstützen. Kampagnen der RHD wurden unter anderen von Albert Einstein, den Brüdern Mann, Käthe Kollwitz, Alfred Döblin und vielen weiteren getragen.

Als Hans Litten mit dem Linksradikalen Ludwig Barbasch eine Kanzlei gründete, hatte er die Lektionen der Weimarer Justiz ebenso gründlich gelernt wie die Strafprozessordnung, die seine wirksamste Waffe wurde.
Beide übernahmen Mandate oft im Auftrag der Roten Hilfe.

Schon in seinem ersten Prozess zeigte Litten sein Können, seinen Mut und sein Engagement: der pazifistische Anarchist Ernst Friedrich war wegen Beleidigung angeklagt worden – er hatte Noske einen »Lump« und »Schurken« genannt.
Litten versuchte eine größtmögliche Öffentlichkeit zu schaffen und ging offensiv mit Anträgen zur Ladung von Zeugen und Sachverständigen vor, um zu zeigen, dass die Bezeichnungen durchaus zutreffend gewesen wären.
Nachdem Ernst Friedrich verurteilt worden war organisierte Hans Litten eine Demonstration, auf der eben diese Sachverständigen sprachen. Sein Plädoyer, das sich ausführlich mit Noskes Rolle bei der Niederschlagung der Novemberrevolution befasste, veröffentlichte er.

Dieser Stil zog sich durch seine gesamte Tätigkeit als Anwalt: Hans Litten war immer außerordentlich gut vorbereitet, er verstand sein Handwerk und er war äußerst kämpferisch und hartnäckig. Und vor allem: er war parteilich!
Darüber hinaus versuchte er selbst Sachverhalte zu ermitteln, versuchte, bis in höchste politische Ebenen hinein Verantwortliche dingfest zu machen. Ein Beispiel dazu ist die Anzeige wegen Anstiftung zum Mord gegen den damaligen Polizeipräsidenten Zörgiebel in Berlin. Der hatte den Schießbefehl gegeben gegen die Demonstration am 1. Mai 1929, 33 Zivilisten wurden getötet, zahlreiche verletzt.
Um seine Ziele zu erreichen benutzte Litten nicht nur die immer stumpfer werdenden Waffen der Prozessordnung, sondern gleichzeitig Veranstaltungen der Roten Hilfe, die er durch ausgiebige Vernehmungen von Zeugen zu öffentlichen Tribunalen der Wahrheitsfindung ausbaute.

Aufsehen erregte 1931 der sog. “Eden-Prozess”. Litten vertrat von der SA zusammengeschlagene Arbeiter und wollte die Verantwortung der obersten Parteiführung der NSDAP für diesen Überfall beweisen. Litten trieb Hitler im Verhör so sehr in die Enge, dass der sich in seine eigenen Lügen verstrickte, Litten schließlich hysterisch anbrüllte und komplett die Fassung verlor.

Doch die Arbeit wurde immer schwerer.
Waren Linke angeklagt, so war Verfolgung gnadenlos.
Waren Nationalsozialisten angeklagt, so schien die Untersuchung zu oft schlampig,
so arbeitete die Staatsanwaltschaft zu oft eher im Interesse der Nazis als der Wahrheitsfindung.
Nachgewiesen hatte das der Mathematiker Emil Julius Gumbel durch vergleichende Analyse der statistischen Erhebungen schon für den Anfang der Weimarer Republik.
Die Rote Hilfe hatte allein im Herbst 1932 869 Prozesse gegen 3640 Arbeiter und Antifaschisten gezählt, von denen 604 freigesprochen, einer zum Tode und 3035 zu insgesamt 2318 Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden waren. Gleichzeitig waren nur 263 Prozesse gegen Faschisten anhängig mit insgesamt 422 Jahren Freiheitsentzug.
Litten hatte überhaupt keine Illusionen über den politischen Charakter der Justiz, die er offen als Klassenjustiz bezeichnete.*1
Der Feind steht links, das war die allgemeine Losung der Weimarer Justiz.

So ganz ist dieses Feindbild ja bis heute nicht verschwunden.
Wie die Justiz der 1920er geprägt war von der Kontinuität der alten Eliten des Kaiserreichs, so war die Justiz der jungen BRD geprägt von der Kontinuität der alten Eliten des Faschismus.*2
Insbesondere in politisch relevanten Strafsachen braucht keine Angeklagte mit Wohlwollen seitens der Vertreter staatlicher Gewalt zu rechnen.

Ganz aktuell wird „die Antifa“ als eine gefährliche Gruppierung hergestellt, während gleichzeitig eine Partei an Stimmen gewinnt, die einen unbestritten faschistischen Kernbestand hat.

Aufgrund eines Haftbefehls aus Ungarn, wo jedes Jahr das momentan größte Treffen von Faschisten in Europa stattfindet, werden eine Handvoll junger Antifaschistinnen verfolgt. Eine kriminelle Vereinigung ist schnell konstruiert.
Wenn aber ein Elitesoldat Waffen und Sprengstoff hortet, Nazi-Zeugs sammelt und ein Netzwerk unterhält mit Gleichgesinnten,
wenn Hunderte bewaffnete Faschisten einen Stadtteil zerlegen und Menschen angreifen und es belegte Absprachen über den Angriff gibt,
ist von einer kriminellen Vereinigung dann nicht die Rede.

So ist die Rote Hilfe als Beistand, nicht nur für Antifaschistinnen, notwendig wie jeh.
Wir feiern dieses Jahr im Pavillon das 25-jährige Bestehen der Roten Hilfe Hannover mit einem Tag der Begegnung und einem Konzert der Gruppe „die Grenzgänger“, zu dem sie alle herzlich eingeladen sind.
Getragen von unseren Mitgliedern bleiben auch wir unabhängig, aber freilich parteilich.
Es verwundert hier nicht: Damit kommt die Rote Hilfe ins Visier der Sicherheitsbehörden.

Derselben „Sicherheitsbehörden“, die durch jahrelanges Wegschauen z.B. den NSU-Terror erst ermöglichten oder aber vor lauter „Vertrauenspersonen“ in Reihen der NPD gar nicht mehr wussten, wer dort das Sagen hatte, was zur Einstellung des ersten NPD-Verbotsverfahrens vor knapp 20 Jahren führte.

Abgesehen davon ist das Bewusstsein vom Sinn einer unabhängigen und zur Verschwiegenheit verpflichteten Anwaltschaft in Deutschland nach wie vor etwas unterentwickelt.
Als ein Beispiel für die Geringschätzung der Rolle der Anwaltschaft können wir die Neuregelung zur Pflichtverteidigerbestellung sehen: Auf EU – Ebene wurde mit der Richtlinie über Prozesskostenhilfe ein Recht auf Beiordnung einer Rechtsanwältin vor der ersten Vernehmung geschaffen.
Dieses Recht wurde in Deutschland – mit § 141 a StPO – deutlich verwässert – nach dem Motto: bloß nicht zu früh eine anwaltliche Beratung an Beschuldigte heranlassen und erst einmal versuchen, Beschuldigte dazu zu überreden, die Vernehmung ohne anwaltlichen Beistand zu machen.

So ist die Rote Hilfe als Beistand, nicht nur für Antifaschistinnen, notwendig wie jeh.

Ist schon in Deutschland bei politischen Verfahren die Rolle eines Anwalts wichtig, so umso mehr im internationalen Kontext.
Und nicht selten sind es die Rechtsanwältinnen selbst, die dann ins Visier von Sicherheitsbehörden kommen, die verfolgt, und manchmal auch getötet werden.

Am 24. Januar 1977 gab es ein Attentat auf eine Kanzlei in Madrid. Dabei starben vier Anwälte und eine Mitarbeiterin. Seit diesem Tag gedenken Anwältinnen aus aller Welt an ihre verstorbenen Kolleginnen.

Und wieder auch ein aktuelles Beispiel:
In der Türkei sind nach unseren Kenntnissen mehr als 400 Anwältinnen zu langjährigen Haftstrafen – der Durchschnitt ist sieben Jahre – verurteilt worden.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum 25jährigen Jubiläum der Ortsgruppe Hannover der RH e.V. zeigten wir neulich einen Film über Eren Keskin.
Sie war lange Zeit Vorsitzende des türkischen Menschenrechtsvereins, sie trat für Opfer sexualisierter Gewalt sowie für Angehörige von Minderheiten ein, sie ist derzeit in mehr als 120 Verfahren angeklagt.

Anwälte und Anwältinnen vom Format eines Hans Litten sind nach wie vor so schwer zu finden wie dringend gebraucht.

Auch wenn das Verhältnis der Roten Hilfe und Hans Litten nicht immer einfach war, wenn sie z.B. in der Strategie der Verteidigung nicht übereinstimmten oder weil Littens anarchistische Haltung störte: es kam zu keiner Zeit zu einem Bruch.
Auch als die Rote Hilfe aufgrund weniger Mittel zu einen und der hohen Zahl von Verfahren zum anderen die Vergütungssätze senken musste blieb Hans Litten unbeirrbar bei seinen Grundsätzen als immer ansprechbarer Anwalt der Roten Hilfe.

1933 flehte seine Mutter ihn an, ins Ausland zu gehen. Er lehnte ab: „Millionen von Arbeitern können nicht heraus, auch ich muss bleiben“.

In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde Hans Litten in den frühen Morgenstunden des 28. Februar 1933 verhaftet. Zunächst kam er, wie die gesamte politische Linke Berlins, nach Spandau ins Polizeigefängnis.
Viele der Anderen kamen nach Misshandlungen vorerst wieder frei, Hans Litten „als gefährlicher kommunistischer Rädelsführer“ von da an nie mehr.
Seine Mutter schrieb Bittgesuche, woraufhin Roland Freisler, später Vorsitzender des berüchtigten Volksgerichtshofs, ihr schließlich mitteilte: “Niemand wird etwas für Litten tun können. Hitler verfärbte sich rot, als er seinen Namen hörte.” “Jeder, der für Litten interveniere”, habe Hitler gesagt, komme sofort ins Lager, “selbst wenn Sie es sind”.

In Gedenken an Hans Litten,
in Gedenken an antifaschistisches Engagement, damals wie heutzutage,
in Gedenken an verfolgte Anwältinnen und Anwälte in aller Welt,

Ich wünsche ihnen einen interessanten und denkwürdigen Abend

*1
In der Arbeiter-Illustrierte-Zeitung (AIZ) vom 11. September 1932 schrieb Hans Litten über einen Prozess: “Der Satz von Karl Marx, dass das Recht ein Überbau der sozialen Gegebenheiten sei, erweist seine Richtigkeit besonders in Zeiten verschärfter Klassengegensätze. … Der Felsenecke-Prozess, der am 20. April 1932 begann, bildet heute den letzten Überrest ordentlicher Gerichtsbarkeit in politischen Sachen inmitten der Arbeit der Sondergerichte. … Was in Sondergerichtsverfahren durch Gesetzgebung im Notverordnungswege eingeführt wurde, erreichte man im Felsenecke-Prozess auf anderem Wege. In politischen Prozessen widerspricht die Aufklärung der Hintergründe häufig dem Interesse der herrschenden Klasse.”

*2
Die personellen und sachlichen Kontinuitäten zwischen der Nazi-Zeit und den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik hat das Rosenburg-Projekt untersucht, benannt nach dem ersten Dienstsitz des Justizministeriums in Bonn.
Im Oktober 2016 wurden die Ergebnisse der Studie veröffentlicht. Die Juristen, die aus der Nazizeit stammten, haben damals altes Unrecht, das aufgearbeitet hätte werden müssen, gedeckt und neues Unrecht geschaffen

weitere links:

https://www.vdj.de/portrait-hans-litten

https://www.vdj.de/der-mann-der-hitler-blossstellte

https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/themen/netzwerk-verein/Einweihung-Gedenkort-Hans-Litten

https://www.brak.de/newsroom/news/hans-litten-gedenken

https://www.sueddeutsche.de/politik/prantls-blick-hitler-hans-litten-1.5289321

https://www.welt.de/geschichte/article249802286/Dieser-Anwalt-brachte-Hitler-in-Rage-und-musste-dafuer-sterben.html