Das Streben nach Gerechtigkeit – Mo, 16. März 2020, HANNOVER – Kulturzentrum Pavillon 19.00 Uhr

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• Das Streben nach Gerechtigkeit •

Nach einer Geschichte von brutalem Kolonialismus, Massenmord an der indigenen Bevölkerung und 300-jähriger Sklaverei scheint es für viele in den USA auch 2020 kein Widerspruch zu sein, sich als das „Land der Freien“ zu begreifen und gleichzeitig die meisten Menschen einzusperren. 2,14 Millionen Gefangene, überwiegend People of Color, werden in der modernen Variante der Sklaverei an die Fliessbänder gezwungen. Weitere knapp 5 Millionen ehemaliger Gefangener leben ohne Grundrechte in einer Gesellschaft, die für manche Demokratie und Selbstentfaltung, für die viele andere Angst und Armut bedeutet.

In den USA ist das jedoch nie hingenommen worden. Seit dem ersten Massaker an Indigenen und dem ersten Tag, als Menschen aus Afrika verschleppt wurden, haben sie sich gewehrt. Derzeit gibt es nicht nur eine lange Geschichte der staatlichen Repression sondern auch eine vielfältige Geschichte des Widerstands, die uns in der momentanen Phase von Polizeigesetznovellen, der schleichenden Privatisierung des Strafvollzugs und der rassistischen Spaltung durch AfD, CDU/CSU, SPD, Grüne etc. helfen kann, Widerstand zu entwickeln.

mu2Im März 2020 wird Johanna Fernandez aus den USA eine Rundreise durch Deutschland machen. Sie ist anti-koloniale Autorin und Unterstützerin des seit 1981  gefangenen Journalisten und ehemaligen Black Panther Mumia Abu-Jamal. Nachdem es inzwischen bereits drei Generationen von linken Aktivist_innen gibt, die zuerst die Hinrichtung Mumias verhindern und später sein Überleben im Gefängnis sicherten, besteht nun eine realistische Chance, dass er in einem Revisionsverfahren frei kommen kann. Da es bei dem Kampf um Mumias Leben und Freiheit immer um alle ging, wäre seine Freilassung ein großer Erfolg für alle in den USA, die sich für eine befreite Gesellschaft einsetzen. Johanna wird darüber am 16. März  berichten und Fragen aufwerfen, was hier möglich ist, um diese Kämpfe zu unterstützen.

Eine Veranstaltung der Roten Hilfe Hannover in Kooperation mit:

Pavillon Hannover, Interventionistische Linke Hannover, DKP Hannover, SDAJ Hannover und VVN-BdA

 

Freiheit für Mumia Abu Jamal

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Ihm wird vorgeworfen, am 9.12. 1981 einen Polizeibeamten erschossen zu haben, als dieser seinen Bruder bei einer Kontrolle misshandelte. Auch Mumia hatte damals schwere Schuss-verletzungen davongetragen und nur knapp überlebt.

Mumia Abu-Jamal ist Einer von Vielen. Er war arm und konnte sich keine wirkliche Verteidigung leisten, er ist Afro-Amerikaner, er ist politischer Aktivist und den Oberen ein Dorn im Auge. Die Justiz setze alles daran, ihn zum Schweigen zu bringen. Die Verhandlung, in der er verurteilt wurde, war eine Farce.

Schon zwei Mal, im August 1995 und im Oktober 1999, konnte durch eine internationale Kampagne erreicht werden, daß ein schon unterzeichneter Hinrichtungsbefehl – und damit Mumias Ermordung – ausgesetzt wurde. Ein Verteidigungsteam konnte gefunden und dessen Recherchearbeit bezahlt werden. 2001 wird das Todesurteil aufgehoben.

Aber Mumia Abu – Jamal ist in keiner Hinsicht ein Einzelfall. Die Todesstrafe ist rassistisch: Mehr als die Hälfte der Insassen der US – Todestrakte sind „Farbige“, Die Todesstrafe richtet sich gegen die Armen: mehr als 90% sind arm. Die Meisten können sich keine angemessene Verteidigung leisten, so daß sie eigentlich schon, bevor sie überhaupt schuldig gesprochen sind, keine Bürgerrechte mehr genießen. Ein ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates Ohio dazu: „Während meiner Tätigkeit habe ich gelernt, dass alle Todeskandidaten eines gemeinsam haben: dass sie kein Geld hatten, war einer der Hauptfaktoren ihrer Verurteilung zum Tod“.

Mumia war seit frühester Jugend radikaler Gegner einer Politik, die die Menschen in „Rassen“ spaltet und die Angst „vor dem Verbrechen“ schürt, um sie so leichter beherrschen zu können. Er trat mit 14 Jahren der Organisation „Black Panther Party“ bei, in der er zum prominenten Journalisten wurde. In den siebziger Jahren machte er sich einen Namen als Radiojournalist, der in seinen Sendungen Rassismus und Polizeibrutalität mit unnachgiebiger Härte angriff.

Und auch dabei ist Mumia kein Einzelfall: die Geschichte nicht nur der USA durchzieht eine Spur politischer Morde: Hinrichtungen oder lebenslange Gefängnisstrafen gegen diejenigen, die wie Mumia ihre Stimme gegen Unterdrückung erheben. Von den Gewerkschaftsführern des „Haymarket“, die gehängt wurden, über die Gewerkschafter und Anarchisten Sacco und Vanzetti und über Ethel und Julius Rosenberg, den angeblichen Atomspionen, die hinge-richtet wurden, bis zu George Jackson, der im Gefängnis von Wärtern erschossen wurde, reicht eine lange Linie. Immer wieder taucht dabei der Anklagepunkt „Polizistenmord“ auf, und auch wenn immer wieder im Nachhinein die Unschuld der Hingerichteten bezüglich der Anklage festgestellt worden ist, der politische Zweck wurde erfüllt: eine Stimme wurde zum Schweigen gebracht.

Denn „das Vergehen des politischen Gefangenen ist seine politische Kühnheit, seine hartnäckige Herausforderung – innerhalb und außerhalb der Legalität – an den Staat, der das fundamentale soziale Unrecht begünstigt und verstärkt“, wie Angela Davis sagt.

Abu-Jamal hat nie aufgegeben und ist auch während seiner Haft nicht zum Schweigen zu bringen. In der Isolationshaft hat er per Fernstudium einen Juraabschluss erworben, er produziert regelmäßig Radiobeiträge, in denen er die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung in den USA thematisiert oder sich zu aktuellen Themen äußert (www.prisonradio.org), er schreibt Bücher und Kolumnen für Zeitungen. Als „voice of the voiceless“, wie er schon vorher wegen seiner Arbeit beim Radio genannt wurde, gibt er den Gefangenen Stimme und Gesicht.

Free Them All

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Schreibt Mumia:

Smart Communications / PADOC

Mumia Abu-Jamal, #AM 8335

SCI Mahanoy

P. O. Box 33028

St Petersburg, FL 33733

USA

 

Pennsylvanias höchstes Gericht setzt Mumia Abu-Jamals Revision aus

Das höchste Gericht des Bundesstaates Pennsylvania, der Pennsylvania Supreme Court (PASC), hat einen Antrag von Maureen Faulkner, der Anti-Mumia-Sprecherin der Fraternal Order of Police (FOP), angenommen. Maureen Faulkner ist die Witwe des 1981 erschossenen Polizisten Daniel Faulkner. Diese Tat wurde 1982 dem Polizeigewalt-kritischen Journalisten Mumia Abu-Jamal in einem Verfahren untergeschoben, welches u.a. von Amnesty International als “durchzogen von politischen Interessen” bezeichnet wurde, es “verfehlte die minimalen Anforderungen zur Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren zu garantieren”.

Der PASC wolle jetzt untersuchen, ob Mumias Fall dem Bezirksstaatsanwalt Larry Krasner aus Philadelphia entzogen werden kann. Bis das geklärt sei, werden alle anderen juristischen Vorgänge gestoppt, die mit Mumias Verurteilung zu tun haben. Das könnte seine Ende 2018 gewährte Revision für lange Zeit aufschieben. Begründung des PASC: Staatsanwalt Krasner sei eventuell nicht “unabhängig”, weil seine Ehepartnerin früher in einer Anwaltsfirma gearbeitet habe, die den afroamerikanischen Journalisten unterstützt hat.

Krasner hat 2019 zum aller ersten Mal in der Geschichte dieses seit 1981 währenden Falles ALLE Akten an die Gegenseite übergeben. Aus diesen Akten geht u.a. hervor, dass R. Chobert, ein Hauptbelastungszeuge gegen Mumia, gegen Geldzahlungen Seitens der Staatsanwaltschaft im damaligen Prozess ausgesagt hat. Diese Tatsache ist momentan Gegenstand juristischer Untersuchungen und könnte Mumias Freilassung entscheidend beschleunigen.

Der Vorgang zeigt, wie stark diejenigen Kräfte in der Justiz auch 2020 noch immer sind, die eine Freilassung von Mumia Abu-Jamal mit allen Mitteln verhindern wollen. Über 30 Jahre hat die Justiz alles getan, um das Recht gegen Mumia zu beugen. Zuerst, um ihn in die Todeszelle zu bringen, was 2011 als eindeutiger Rechtsbruch vom US Supreme Court kassiert wurde. Aber auch in seinem Revisionsverfahren, dem 1998 R. Castille als damals gerade neugewählter Revisionsrichter vorsaß, der zuvor in den Fall involvierte Staatsanwalt. Ende 2018 hat ein Revisionskontrollgericht diese Praxis für unrechtmäßig erklärt und ein neues Revisionsverfahren angeordnet.

Es ist deutlich, dass die Freiheit von Mumia Abu-Jamal nicht durch Gerichte gewährt, sondern durch eine solidarische Öffentlichkeit erkämpft wird. Lasst uns die bundesweite Rundreise von Johanna Fernandez, der Sprecherin von Mumias Verteidigung im März 2020 nutzen, um gemeinsam zu überlegen, wie wir gegen dieser erneuten “Mumia Ausnahme”, also der Verweigerung von Grundrechten des gefangenen Journalisten und der Verschleppung seiner Freilassung, begegnen können.

Eine positive Nachricht, die zeigt, dass die Solidarität mit Gefangenen Erfolge bringt: Mumias zweite Augenoperation fand am 22. Februar 2020 statt. Der Journalist wäre ohne Behandlung erblindet. Die privatisierte Gesundheitsstelle des SCI Mahanoy, in dem Mumia gefangenen gehalten wird, gab erst unter öffentlichen Druck nach und ließ die Operation durchführen. Bereits am 29. August 2019 war er am anderen, dem linken Auge ebenfalls erfolgreich operiert worden, so dass seine Sehkraft nun gerettet ist.

 

Der maskierte Rassismus

Der industrielle Gefängniskomplex

ang1Angela Davis, langjähriges Mitglied der KPdUSA, war Anfang der 70er Jahre angeklagt, den Versuch, George Jackson (Black Panther) zu befreien ,unterstützt zu haben. Auch durch eine weltweite Solidaritätskampagne endete ihr Verfahren mit einen Freispruch. Angela Davis hat heute einen Lehrstuhl an der Universität. Der hier stark gekürzte Artikel erschien zuerst in dem Magazin “ColorLines”, Herbst 1998

Das Gefängnis ist mittlerweile zu einer der ersten Antwort auf die sozialen Probleme geworden, die die Menschen in Armut bedrücken.

Diese Probleme werden häufig verschleiert, indem sie bequemerweise unter der Überschrift “Kriminalität” zusammengefasst und kriminelles Verhalten dann automatisch Afro- und LatinoamerikanerInnen zugeordnet wird. Obdachlosigkeit, Arbeitslosigkeit, Drogenabhängigkeit, Geisteskrankheiten und Analphabetismus sind nur einige der Probleme, die aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwinden, sobald die Menschen, die mit ihnen konfrontiert sind, hinter Gittern verschwinden.

So gesehen haben Gefängnisse geradezu magische Kräfte. Aber Gefängnisse lassen nicht Probleme verschwinden, sie lassen Menschen verschwinden. Und tatsächlich ist diese Praxis ein großes Geschäft geworden, immer mehr arme, immigrierte Menschen aus rassistisch margi-nalisierten Communities verschwinden zu lassen. …

Die Farbe der Gefangenschaft

Zur Zeit (2001) sind fast zwei Millionen Menschen in dem riesigen Netzwerk der US-Gefängnisse eingesperrt. Mehr als siebzig Prozent der Inhaftierten sind Afro- oder LatinoamerikanerInnen. Es wird selten zur Kenntnis genommen, daß die am schnellsten wachsende Gefangenengruppe schwarze Frauen sind und daß prozentual zum Bevölkerungsanteil die indígenen AmerikanerInnen die größte Gruppe stellen. Annähernd fünf Millionen Menschen, einschließlich derjenigen auf Bewährung oder im Freigang, unterstehen direkt der Aufsicht des Justizwesens. …

Damit die Körper geliefert werden können, die für das gewinnorientierte Strafvollzugsystem bestimmt sind, beruht die politische Ökonomie der Gefängnisse auf rassi(sti)sch orientierten Annahmen über Kriminalität – z.B. solcher Bilder schwarzer Mütter, die Sozialhilfe bekommen und kriminelle Kinder großziehen – und auf rassistischen Mustern bei der Festnahme, der Verurteilung und den Strafmaßen. Die Körper von Afro- und Latinoamerikaner-Innen sind in diesem riesigen Experiment der Hauptrohstoff, um die sozialen Probleme unserer Zeit verschwinden zu lassen. Entkleidet man die Gefängnis”lösung” aber ihrer magischen Aura, kommen Rassismus, Klassenvorurteile und die parasitäre Abschöpfung kapitalistischer Profite zum Vorschein. Das industrielle Gefängnissystem führt zur materiellen und moralischen Verarmung seiner Bevölkerung und verschlingt den sozialen Reichtum, der eigentlich gebraucht würde, um genau die Probleme angehen zu können, die zu der immer größer werdenden Zahl von Gefangenen geführt haben. …

“Für Privatunternehmen”, schreiben Eve Goldberg und Linda Evans (eine politische Gefangene in der ang 2Strafvollzugsanstalt Dublin in Kalifornien), “ist Gefängnisarbeit eine Goldader. Keine Streiks. Keine gewerkschaftliche Organisierung. Keine Krankenversicherungskosten, keine Arbeitlosenversicherung oder Ausgleichszahlungen für ArbeiterInnen. Keine Sprachbarrieren wie im Ausland. Neue riesige, schreckerregende Gefängnisfabriken werden auf tausenden von Hektar innerhalb der Anstaltsmauern gebaut. Gefangene erledigen die Datenerfassung für Chevron, übernehmen Telefonreservierungen für TWA, züchten Schweine, schaufeln Dünger, stellen Stromleiter her, Limousinen, Wasserbetten und Unterwäsche für Victoria’s Secret – alles zu einem Bruchteil der Kosten der ‘freien Arbeit’.” …

Im Kontext eines alles überschwemmenden Konservatismus markiert die Entstehung des industriellen Gefängniskomplexes eine neue historische Epoche, deren Gefahren ohne Beispiel sind.

Dies gilt allerdings auch für die Chancen dieser Epoche. Wenn man sich die eindrucksvolle Zahl selbstorganisierter Projekte vergegenwärtigt, die weiterhin der Expansion der Bestrafungsindustrie widerstehen, sollte es doch auch möglich sein diese Kräfte für eine radikale, landesweit sichtbare Bewegungen zusammenzubringen, die eine antikapitalistische Kritik an dem industriellen Gefängniskomplex formulieren. Es sollte möglich sein, Bewegungen für die Menschenrechte der Gefangenen zu schaffen, ebenso wie überzeugend darzulegen, daß wir nicht neue Gefängnisse, sondern ein Gesundheitssystem, Wohnungen, Bildung, Drogenentzugsprogramme und Arbeitsplätze brauchen. Um eine demokratische Zukunft zu gewährleisten, ist es notwendig und auch möglich, die vielen und immer mehr werdenden Stränge des Widerstandes gegen den industriellen Gefängniskomplex zusammenzubringen, um eine machtvolle Bewegung für soziale Transformation zu schaffen.

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Weitere links:

Johanna Fernandez speaking on Mumia Abu-Jamal @ Rosa-Luxemburg-Conference, Beylorlin 2020

Johanna Fernández on Mumia Abu Jamal’s Path to Freedom (April 18, 2019)

Das Buch von Johanna Fernandez, das Mumia nicht lesen durfte

 

http://www.freiheit-fuer-mumia.de/

https://mobilization4mumia.com/

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126701.free-mumia-ein-leben-fuer-mumia-abu-jamal.html

 

https://www.leonardpeltier.de/

 

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