Bulgarien: Jock Palfreeman kommt frei! Oder nicht?

jock

> 04.10.19

“Schutzhaft” nach rechtsradikalem Protest in Sofia.

Australische Botschaft blamiert sich durch Stümperei.

Der Fall steht auf des Messers Scheide. Laut einer Meldung des Guardian, will das Oberste Berufungsgericht Bulgariens am Montag, 7. Oktober über die Freilassung Jock Palfreemans entscheiden.

Es ist jetzt wichtig, Druck auf die bulgarischen Behörden aufzubauen – etwa mit Anrufen und Emails an die Bulgarische Botschaft in Berlin: Telefon: +49.30 201 | Fax: +4930 208 68 38 | 0922 | Embassy.Berlin@mfa.bg <mailto:Embassy.Berlin@mfa.bg>;

Jock sollte nach einer überraschenden Wendung bereits am 19. September auf Bewährung frei kommen, doch die Behörden gaben massivem Druck von Rechtsextremen und autoritären Nationalisten nach, deren langer Arm von Straßenterror durch faschistische Mobs in Bulgarien bis in die Regierungskoalition reicht. Eine Protestnote der Bulgarischen Richtervereinigung, die von 292 Richtern unterzeichnet wurde, hält fest: /”Der bulgarische Richter erhält ein klares und kategorisches Zeichen: Wenn er nicht in Übereinstimmung mit der öffentlichen Meinung und dem Willen der politischen Parteien und ihrer spezifischen politischen Führer entscheidet, wird er (oder sie) missbraucht, verleumdet, körperlich verfolgt und misshandelt.”/

Nachdem sogar die Washington Post berichtete, schaltet sich auch die Australische Außenministerin *Marise Payne* am Rande der jüngsten UN Vollversammlung offiziell ein, um Jock Palfreemans Freilassung zu erreichen. Endlich. Der Australische Staat glänzte auffällig lange durch Arbeitsverweigerung. Nun sagte Payne: /”Ich bin fest überzeugt, dass er im Einklang mit bulgarischem Recht die Erlaubnis bekommen sollte, unverzüglich nach Australien zurück zu kehren.”/ Währenddessen belegen neu aufgetauchte Aufnahmen der Tatnacht 2007 offenbar Jocks Aussagen, dass er von einer Gruppe von Angreifern schwer attackiert wurde. Jock wurde als Mörder verurteilt, obwohl er offensichtlich in Selbstvertreidung handelte. Überraschenderweise kam am 19. September 2019 Bewegung in den Fall.

Jock Palfreemans Antrag auf vorzeitige Haftentlassung kam plötzlich durch – nachdem der australische Antifaschist und Mitbegründer der ersten bulgarischen Gefangenengewerkschaft BPRA elf von 20 Jahren wegen eines abgekarteten Mordprozesses abgesessen hatte. Grund dafür dürfte vor allem Berichterstattung und Solidarität aus dem Ausland sein – nicht zu letzt in der Rote Hilfe Zeitung – sowie besorgte Briefe und Protestnoten an bulgarische Behörden.

 

*Doch Freude ist verfrüht: Rechtsextreme machen mobil*

Da er keine gültigen Papiere besaß, kam Jock in das Busmantsi-Abschiebegefängnis, um auf einen Reisepass zu warten, der ihm aus Athen geschickt werden sollte. Australien unterhält in Bulgarien keine Botschaft; Vorgänge auf dem Balkan scheinen die Regierung in Canberra ebensowenig zu interessieren wie das Wohlergehen eines linksradikalen Antifaschisten und Staatsbürgers, der zu Unrecht in die Mühlen der Justiz geraten ist. Währenddessen nutzten Faschisten der Partei “Ataka!” Jocks bevorstehende Freilassung um massive Straßen-Proteste und mediale Hetze zu organisieren. Der Bulgarische Generalstaatsanwalt *Sotir Tsatsarov* kündigte an, Berufung gegen die vorzeitige Haftentlassung zu beantragen, so dass Jock womöglich wieder zurück ins Gefängnis wandern wird. Laut Washington Post soll die Familie des vermeintlichen Mord-Opfers zudem 300.000 Euro Entschädigung verlangen und damit Jocks Ausreise verhindern. Möglicherweise muss Jock Palfreeman bis zu einer endgültigen Entscheidung des obersten Gerichtshofs in Haft bleiben. Zynischerweise soll das laut Innenminister Stefan Balabanovauch /”zu seiner eigenen Sicherheit”/ sein. Auf deutsche also: Schutzhaft. Die Australische Botschaft in Athen, die sich in den vergangenen elf Jahren einen feuchten Dreck um die Rechte ihres Staatsbürgers gekehrt hat, trägt auch hier eine Mitschuld. Es gab offenbar ein kurzes Zeitfenster, in dem Jock das Land nach dem 19. September hätte verlassen können, wenn er denn umgehend gültige Papiere bekommen hätte, klagte Jocks Anwalt Kalin Angelov: /”Die Behörden müssten herkommen, ihn in ein Auto setzen und per Flugzeug außer Landes befördern//.//”/

*Zum Glück hat Jock auch Unterstützer*

Der Fall erlangt spätestens jetzt internationale Dimensionen. Die rechtsradikale Partei *IRMO*, die über das Wahlbündnis /Vereinigte Patrioten/ seit 2017 an der Regierung beteiligt ist – ihr Chef *Krasimir Karakatschanow* ist Minister für öffentliche Ordnung und für Verteidigung -, forderte den Generalstaatsanwalt auf, das Bulgarische Helsinki Komitee zu verbieten. Grund dürfte sowohl die aktuelle Unterstützung des Helsinki Komitees für Jock Palfreeman sein als auch dessen Kooperation mit der BPRA. Gemeinsam schafften sie es, Menschenrechtsverstöße im Bulgarischen Knastsystem vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu bringen. Der EGMR verurteilte die Situation in bulgarischen Gefängnissen am 27. 1. 2015 und räumte dem Land 18 Monate zur Verbesserung der Lage ein. Der Vorsitzende des Helsinki Komitees, *Krassimir Kanzev*, sieht in dem Vorstoß der rechtsextremen Parteien IRMO und Ataka/”einen beispiellosen Versuch, eine Menschenrechtsorganisation in Europa zu verbieten. Selbst in Putins Russland werden solche Organisationen zwar als ‘ausländische Agenten’ gebranntmarkt, aber keine wurde verboten.”/ *Wegen Selbstverteidigung gegen rassistischen Mob als Mörder verurteilt* Der Hintergrund des Falles: Der Tourist Jock Palfreeman schritt in den Morgenstunden des 28. Dezember 2007 ein, als ein Mob aus bulgarischen Studenten und Jungmännern zwei Roma attackierte. Dabei geriet er selbst ins Fadenkreuz der Aggressoren. Er verteidigte sich mit einem Messer. Einer der Angreifer starb. Zu Jocks Unglück war der getötete Jura-Student und Hool *Andrej Monov* der Sohn eines hochrangigen Mitglieds der damaligen ex-sozialistischen Regierungspartei BSP.

Jock Palfreeman wurde als mordlüsterner ausländischer Soziopath von der Boulevarpresse vorverurteilt. Das Gericht gab dem bereitwillig nach und urteilte wider fundamentale rechtsstaatliche Prinzipien. Für Mord lagen offensichtlich weder ein Motiv noch die Kriterien Heimtücke oder Planung vor. Jock handelte in Notwehr. Jock gründete am 26. Juli 2012 mit bulgarischen Häftlingen die erste und einzige bulgarische Gefangenengwerkschaft: Bulgarien Prisoners Rehabiltitation Asscoiation (BPRA). Er ist ihr wichtigstes Sprachrohr ins Ausland.

Elmore Y., Stand: 4.10.2019

Quellen:

* Jailed Australian Jock Palfreeman says newly released fight footage supports his case, The Guardian, 3.10.2019, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/03/jock-palfreeman-says-newly-released-footage-backs-up-his-self-defence-claim

* Jock Palfreeman to learn fate on Monday as parole sparks protests in Bulgaria, The Guardian, 2.10.2019, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/02/jock-palfreeman-to-learn-fate-on-monday-as-parole-sparks-protests-in-bulgaria

* Belinda Hawkins: Jock Palfreeman supporters in Bulgaria face deregistration as human rights group, 1.10.2019, https://www.abc.net.au/news/2019-10-01/bulgarian-human-rights-group-ban-for-supporting-jock-palfreeman/11562798

* Marnie Banger: Australian Jock Palfreeman locked up after winning a parole appeal, news.com.au, 27. 9. 2019, https://www.news.com.au/world/europe/australian-jock-palfreeman-locked-up-after-winning-a-parole-appeal/news-story/f42fcf32b0c8f5927c88cc2628a0df29

* Associated Press: Bulgarian court to eye revoking parole for Australian man, Washington Post, 27.9.2019, https://www.washingtonpost.com/world/europe/bulgarian-court-to-eye-revoking-parole-for-australian-man/2019/09/27/4c3b4ff8-e109-11e9-be7f-4cc85017c36f_story.html

* Linton Besser: Bulgaria’s prosecutor-general wants to have Australian Jock Palfreeman returned to jail, ABC News, 24.9.2019, https://www.abc.net.au/news/2019-09-24/jock-palfreeman-lawyer-calls-for-government-help-bulgaria/11544614