Eine angehende Lehrerin wird in Bayern womöglich nicht zum Referendariat zugelassen. In Niedersachsen plant das Innenministerium „Verfassungsfeinde schneller aus dem öffentlichen Dienst (zu) entfernen“. “Rot-Grün in Hamburg erwägt Regelanfragen beim Verfassungsschutz, um Extremisten aus dem Staatsdienst zu halten.” Das “Arbeitsgericht München hat die Klage von Benjamin Ruß auf Einstellung an der TU München abgelehnt: Ziel einer neuen Gesellschaftsordnung widerspreche der „Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“”. Kiel 19.01.2025: „Landesregierung Schleswig-Holstein bereitet neuen Radikalenerlass vor“,… und so weiter … siehe aktuelles unter: https://berufsverbote.de/index.php/
Ging es lange Zeit darum, die von Berufsverboten in den 1970ern und 1980ern Betroffenen zu rehabilitieren, so scheint es mehr und mehr darum zu gehen, sich gegen eine neue Welle von Berufsverboten zur Wehr zu setzen!
Wir dokumentieren die Pressemitteilung der Niedersächsischen Initiative gegen Berufsverbote

28.01.2025 | Pressemitteilung des Bundesvorstandes der Roten Hilfe e.V.
Grundrechte für Lehrer*innen untersagt: Gegen die Neuauflage der Berufsverbote-Praxis!
Die bayerischen Behörden wollen das Gespenst der Berufsverbote wiederbeleben: Einer Klimaaktivistin wird die Zulassung zum Referendariat verwehrt. Das bedeutet nicht nur, dass sie nicht im Staatsdienst unterrichten darf, sondern ihre Berufsausbildung zur Lehrerin nicht abschließen kann. Als Begründung werden politische Aktivitäten und missliebige Äußerungen angeführt.
Konkret wirft das bayerische Kultusministerium der Lehramtsstudentin vor, an Klimaprotesten und anderen politischen Aktionen beteiligt gewesen zu sein. In mehreren Fällen wurden dabei Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet – was die eingesetzten Beamt*innen bekanntlich stets in hoher Zahl tun. Als Sprecherin des Offenen Antikapitalistischen Klimatreffens München trat die Aktivistin vor allem bei den Protesten gegen die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Erscheinung und stellte sich mehrfach als Anmelderin von Großdemonstrationen gegen rechts zur Verfügung.
Diese Mitwirkung an politischen Bewegungen und die Ausübung demokratischer Grundrechte werden ihr nun zum Vorwurf gemacht, um ihre Berufspläne und ihre wirtschaftliche Grundlage zu zerstören. Neben den Protesten gegen den Braunkohleabbau in Lützerath und gegen die IAA in München führt das Ministerium eine kapitalismuskritische Äußerung ins Feld: Indem sie die Auto-Messe als „Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnete, habe sie die freiheitlich-demokratisch Grundordnung verlassen. Wer den Begriff „Profitmaximierung“ benutzt, ist demnach zu kapitalismuskritisch, um für das Lehramt geeignet zu sein.
Das Vorgehen lässt die Praxis der Berufsverbote der 1970er/80er wiederauferstehen: Mit dem „Radikalenerlass“ wurde vor exakt 53 Jahren – am 28. Januar 1972 – die Regelüberprüfung von Bewerber*innen für den Staatsdienst und von Angestellten im öffentlichen Dienst eingeführt. Damit schuf sich die damalige Bundesregierung ein gewaltiges Instrument zur Einschüchterung der linken Bewegungen, gegen die sich der Erlass richtete: Bis Ende der 1980er wurden auf dieser Grundlage Informationen über 3,5 Millionen als Oppositionelle verdächtigte Menschen beim politischen Inlandsgeheimdienst abgefragt. Gegen etwa 1250 Betroffene, in der Regel Lehramtsstudierende, wurden wegen ihres Engagements in linken Zusammenhängen Berufsverbote verhängt. Rund 260 Angestellte des öffentlichen Diensts, die beispielsweise bei der Bundespost oder Bundesbahn arbeiteten, verloren ihre Arbeit. Während die Bundesregierung die Regelabfragen 1985 einstellte, führten einzelne Bundesländer sie weiter fort – Bayern schaffte die Massenüberprüfungen erst 1991 ab.
Ab 2004 wagte das baden-württembergische Oberschulamt einen neuen Vorstoß und verhängte ein Berufsverbot gegen einen Heidelberger Aktivisten, das aber 2007 letztinstanzlich für unrechtmäßig erklärt wurde. Seither bemühten sich verschiedene Bundesländer darum, diese Repressionsmaßnahme neu zu beleben.
„Offensichtlich reicht den Repressionsorganen das Strafrecht nicht mehr aus, wenn es darum geht, linke Bewegungen einzuschüchtern und Aktivist*innen mundtot zu machen. Erneut greifen die Behörden darauf zurück, Lebensentwürfe und wirtschaftliche Grundlagen von Menschen zu zerstören, die von ihren Grundrechten Gebrauch machen und gegen gesellschaftliche Missstände protestieren“, erklärte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. „Es besteht die Gefahr, dass diesem Fall weitere folgen werden.“ Sommerfeld schloss mit dem Appell: „Wir müssen diesem neuerlichen Versuch, missliebige Proteste und engagierte Menschen durch Berufsverbote zu knebeln, gemeinsam entgegentreten. Wir fordern alle auf, gegen diesen Frontalangriff auf elementare Grundrechte entschieden zu protestieren!“
Zu Bayern siehe:
Bayrischer Rundfunk: Bayern will Aktivistin nicht als Lehrerin: Radikalenerlass 2.0? : Darf eine linke Aktivistin, gegen die ermittelt wird, das Referendariat zum Lehramt machen? Bayerns Kultusministerium sagt bisher: Nein. Der Fall führt grundsätzlich zu der Frage: Was dürfen (angehende) Lehrkräfte in ihrer Freizeit, was nicht? …
Bayrische Staatszeitung: Berufsverbot wegen Engagement als Klimaschützerin? Das steckt wirklich dahinter : … Im Streit um ein vermeintliches Berufsverbot für eine angehende Lehrerin hat Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) klargestellt, dass der Frau eine Zulassung zum Referendariat bisher nicht verweigert wurde. …
SZ: Die Rückkehr der Berufsverbote: Erstmals verweigert der Freistaat Bayern einer Klimaaktivistin, die erfolgreich auf Lehramt studiert hat, die Übernahme ins Referendariat. Begründung: Ihr Aktivismus sei nicht mit der Verfassung vereinbar. (paywall) https://archive.ph/ZMV98
Zu Niedersachsen siehe: https://berufsverbote.de/index.php/ :
Hannover 20.01.2025: Mit „Härte“ „Verfassungsfeinde schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen“
„Wir brauchen keinen neuen Gesinnnungs-TÜV“ – Pressemitteilung der Niedersächsischen Initiative gegen Berufsverbote.
Auch in Niedersachsen plant SPD-Innenministerin Daniela Behrens (SPD) ein Verfahren, dass missliebige Beamte erst mal rausfliegen sollen und sich dann – auf eigenes Risiko und erst mal ohne Chance auf andere Arbeit – wieder einklagen können. Hierüber berichten Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) und Neue Presse am 20.01.2025. Die Rhetorik – „Verfassungsfeinde“, „Extremisten“, „Gegner unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ – knüpft direkt an die 1970er Jahre an. Kein Wort darüber, gegen wen die „Härte“ sich vorgeblich richten soll. Definitionsmacht beim für den „Nachweis“ zuständigen Inlandsgeheimdienst, Umkehr der Beweislast, Missachtung realer Erfahrungen der Betroffenen und gewerkschaftlicher Argumente – alles wie gehabt und auf Bundesebene ebenfalls in Arbeit. Lang ist’s her, dass am 15.12.2016 eine SPD/GRÜNEN-Mehrheit des niedersächsischen Landtags in einem Beschluss festhielt, „dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen“.
Zu Hamburg siehe:
TAZ: Verfassungsschutz soll Bewerber checken Und täglich grüßt das Berufsverbot: Rot-Grün in Hamburg erwägt Regelanfragen beim Verfassungsschutz, um Extremisten aus dem Staatsdienst zu halten. Das erinnert an den Radikalenerlass.
Welt: Schutz der Institutionen oder neuer Radikalenerlass?: SPD und Grüne wollen rechte und islamistische Verfassungsfeinde am Eintritt in den öffentlichen Dienst hindern. DGB und Linken warnen vor einem neuen Radikalenerlass.
Zu Benjamin Ruß siehe:
labournet: TU München untersagt die Anstellung des Geowissenschaftlers wegen Kapitalismuskritik
Arbeitsgericht München hat die Klage von Benjamin Ruß auf Einstellung an der TU München abgelehnt: Ziel einer neuen Gesellschaftsordnung widerspreche der „Verfassungstreue im öffentlichen Dienst“
… … …
Aufgrund des Verhaltens des Klägers durfte der Beklagte annehmen, dass der Kläger keine ausreichende Gewähr für die funktionsbezogene Verfassungstreue bietet.“ Pressemitteilung des Arbeitsgerichts München vom14.08.2024
Zu Kiel siehe: https://berufsverbote.de/index.php/ :
Kiel 19.01.2025: „Landesregierung Schleswig-Holstein bereitet neuen Radikalenerlass vor“
Die Kieler Nachrichten vom 19.01.2025 teilen mit: „Die schwarz-grüne Landesregierung will einen neuartigen Radikalenerlass einführen. Das geht aus einem Schreiben von Innenstaatssekretärin Magdalena Finke (CDU) an den Finanzausschuss des Landtags hervor. Demnach sollen in Schleswig-Holstein künftig Lehrkräfte, Polizisten und andere Landesbeschäftigte vor ihrer Einstellung auf Verfassungstreue überprüft werden.“ Ein historischer Grund, warum einige GRÜNEN-Politiker (noch?) Bauchschmerzen haben: „An der Gründung der Partei in Schleswig-Holstein 1980 waren auch einige Aktivisten aus K-Gruppen (kommunistische Kader) beteiligt. ‚Sie hätten vermutlich keinen Job im öffentlichen Dienst bekommen’, berichtet der Ex-Grünen-Abgeordnete Burkhard Peters. Später bekleideten einige dieser K-Grünen Ämter in Fraktion und Regierung.“ – (Was bekanntlich in Baden-Württemberg ähnlich war. Ein Kader, dem damals der Ruf eines „strammen Marxisten-Leninisten“ vorausging, bekleidet dort seit 2011 bis heute das Amt des Ministerpräsidenten.)