Mit seinem politischen Engagement war er vielen ein Vorbild. Er saß im Knast unter Hitler und unter Adenauer. Ihm zu Ehren gab es auf Einladung der VVN BdA am 9. November um 15 Uhr am August-Baumgarte-Gang neben dem FAUST-Gelände eine Gedenkveranstaltung.
Das Verfahren am 29. November 1962 vor dem 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in Westberlin nahm einen ungewöhnlichen Verlauf. Nachdem Senatspräsident Prof. Dr. Werner die Verhandlung mit dem Ziel des Verbots der VVN – beantragt von der Bundesregierung – eröffnet hatte, wird ihm aus dem Zuhörerraum zugerufen: »Herr Präsident, sie waren ein großer Nazi. Hier sind die Beweise.« Der Rufer hielt ein Bündel Papier mit Belegen für die SA- und NSDAP-Mitgliedschaft und »Deutschtumsarbeit« des Richters in die Höhe. Dieser fragte die VVN-Vertreter: »Machen sie sich den Vorwurf zu eigen?« Prozeßvertreter Alfred Hausser sagte laut: »Ja.« Der Prozeß wurde unterbrochen und bis heute nicht wieder aufgenommen.
Der Rufer war August Baumgarte, das Verfahren das Verbotsverfahren gegen die VVN 1962
August Baumgarte wurde 1904 in Hannover geboren. Mit 15 Jahren begann er eine Lehre als Schlosser, trat in die Gewerkschaft, in die Sozialistische Arbeiterjugend und 1923 in den „Republikanischen Schutzbund Hannover“ ein, der später im „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ aufging. 1926 wechselte er in den kommunistischen Jugendverband über und war im „Kampfbund gegen den Faschismus“ aktiv. Er wurde Betriebsratsvorsitzender in einem großen hannoverschen Metallbetrieb. Dort wurde er bei einer Fusion rechtswidrig entlassen, konnte sich nun aber ganz der politischen Arbeit widmen. Er erlebte die Straßenkämpfe und Saalschlachten in der Endphase der Weimarer Republik.
Im Herbst 1932 wurde er erstmals verhaftet und blieb bis Ende 1932 in Haft. Am 28. Februar 1933, dem Morgen nach dem Reichstagsbrand, wurde August Baumgarte erneut festgenommen. Es folgten zwölf Jahre in Zuchthäusern und Lagern des faschistischen Terrorregimes: Moringen, Esterwegen, Sachsenhausen.
„Morgens, 5 Uhr, erschien die Polizei und holte uns aus den Betten. Wir erfuhren, dass in der Nacht der Reichstag gebrannt hatte. Mein Bruder und ich wurden mit Polizeieskorte durch die Straßen zur Wache am Klagesmarkt geführt. Von dort aus ging es mit einem Polizeiwagen in die Haftstation des Präsidiums in der Hardenbergstraße. Als wir eingeliefert wurden, waren schon 150 Bürger dort, – überwiegend Kommunisten, auch Sozialdemokraten, Parteilose und Gewerkschafter. Wir wurden in zwei große Säle gesperrt. Dann sortierte man. Ich kam in eine winzige Einzelzelle, in der schon drei Mann lagen”. August Baumgarte https://zukunft-heisst-erinnern.de/wp-content/uploads/2024/02/Infotafel-Polizeipraesidium-Hannover-April-2015.pdf |
Er ließ sich nicht brechen, baute in den Lagern immer wieder Häftlingsselbstorganisationen mit auf. Im Oktober 1944 wurde er mit dem Aktenvermerk “Rückkehr unerwünscht”, was einem Todesurteil gleichkam, in das KZ Mauthausen deportiert, wo er schließlich 1945 befreit wurde.
Ein Bild von ihm in Häftlingskleidung gibt es in der Bilderdatenbank des Bundesarchivs: KZ Sachsenhausen, Häftlingsarbeit, August Baumgarte. BildY 1-1078-1756-70-VI-22. 1941 Januar – Februar. (https://www.bild.bundesarchiv.de/dba/en/search/?yearfrom=&yearto=&query=sachsenhausen+ss&itemsperpage=48;https://www.bild.bundesarchiv.de/dba/en/search/?yearfrom=&yearto=&query=sachsenhausen+ss&itemsperpage=48;)
Nach der Befreiung arbeitete er aktiv in der KPD und beim Aufbau der VVN. Er wurde Vorsitzender des »Moorsoldatenkomitees«.
Sein Engagement gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und das KPD-Verbot führten 1957 erneut zu einer Verurteilung, vom Landgericht Lüneburg, wegen Fortsetzung der Tätigkeit der verbotenen KPD. Landgerichtsdirektor und Vorsitzender der für Staatsschutzsachen zuständigen Strafkammer an diesem Gericht war Dr. K. Lenski, vor 1945 NSDAP-Mitglied und Anklagevertreter beim Reichskriegsgericht. Die Anklage wurde vertreten durch den Staatsanwalt Ottersbach, der im von den Faschisten besetzten Krakau schon als Staatsanwalt Todesurteile beantragt hatte.
»Eine stichprobenartige Sichtung dieser herausgezogenen Akten ergab eine bemerkenswerte Parallelität, ja sprachliche Übereinstimmung in Anklagen und Urteilsbegründungen zwischen Verfahren vor nationalsozialistischen Sondergerichten nach dem Heimtückegesetz von 1934 oder der Volksschädlingsverordnung von 1939 und Verfahren vor Staatsschutzkammern in den 50er Jahren«, so Wilfried Knauer, Gedenkstättenleiter Wolfenbüttel, auf einem Symposium.
siehe auch: “Von Hitler zu Adenauer”: “Karl-Heinz Ottersbach war 1940/41 Staatsanwalt im oberschlesischen Kattowitz und zuständig für die Sondergerichtsverfahren. Ottersbach war besonders gegen Polen brutal vorgegangen. … … ... Auch Richter Konrad Lenski war kein unbeschriebenes Blatt: Erst hatte er am Reichskriegsgericht sehr viele Todesurteile gefällt. Später verurteilte er als Militärrichter in Straßburg zahlreiche französische Widerstandskämpfer zum Tode. … … … In den fünfziger und sechziger Jahren führt sie durchschnittlich 600 Staatsschutzverfahren pro Jahr durch. Lüneburg nimmt damit eine Spitzenposition in Niedersachsen ein. Die Anklagen lauten auf hochverräterische Unternehmungen, Geheimbündelei, landesverräterische Beziehungen, Staats- und Verfassungszersetzung oder Verunglimpfung der Staatsorgane. … … … Ähnlich bizarr ist das Schicksal des Kommunisten August Baumgarte, geboren 1904 in Hannover. … … … https://www.zeit.de/2007/49/A-Juristenprozess/seite-4
Er war bis 1959 im Gefängnis. Verbunden damit war die Aberkennung der Ansprüche auf eine Entschädigungsrente als Opfer des Faschismus und die Aberkennung seiner Bürgerrechte.
1962 dann der Versuch der Bundesregierung die VVN zu verbieten: Schon 1951 wurde versucht den Rat der VVN zu verbieten, teilweise scheiterte das an den Verwaltungsgerichten. 1959 unternahm die Bundesregierung einen erneuten Versuch. Doch August Baumgarte legte in der Verhandlung Dokumente vor (s.o.), die zeigten, dass der Vorsitzende Richter und Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, Fritz Werner, schon vor 1933 der NSDAP und der SA beigetreten und später zum höheren SA-Führer berufen worden war. Der Anwalt der Bundesregierung, Hermann Reuß, war ebenfalls ehemaliges NSDAP-Mitglied und unter den Nazis als Richter tätig gewesen und hatte gleich nach Hitlers Machtantritt das Verbot aller anderen Parteien gefordert. Weiter kam heraus, dass der beisitzende Richter Eugen Hering, seit 1933 NSDAP-Mitglied, sogar in der SS war und bis zuletzt Landrat einer Ortschaft im besetzten Polen. Der dritte Richter, Lullies, auch seit 1933 in der NSDAP, hatte zur Nazi-Zeit einen hohen Rang in Erfurt inne und wäre Oberbürgermeister in Regensburg geworden, wenn das Kriegsende diese Beförderung nicht verhindert hätte. Kurzum: der Prozess wurde verschoben und nie wieder aufgenommen. In den Medien der damaligen Bundesrepublik wurde nicht weiter darüber berichtet.
Auch Augusts Bruder Kurt Baumgarte war Widerstandskämpfer. Er war mit Gerda Baumgarte verheiratet, die ebenfalls für mehrere Monate inhaftiert wurde, u. a. weil sie einem russischen Zwangsarbeiter Brot zusteckte. Auch Kurt wurde vom Landgericht Lüneburg noch1966 wegen Fortsetzung der Tätigkeit in der verbotenen KPD und wegen „Rädelsführerschaft, Geheimbündelei in verfassungsfeindlicher Absicht“ zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und zehn Monaten sowie drei Jahren Aberkennung der Bekleidung öffentlicher Ämter und Wählbarkeit verurteilt.
Zu dem Buch von Gerda Zorn zum Widerstand brachte August Baumgarte viel an seinem Wissen ein. (“Widerstand in Hannover. Gegen Reaktion und Faschismus 1920–1946. Röderberg, Frankfurt am Main 1977”)
Er selbst schrieb das Buch: “Das wahre Gesicht der Waffen-SS.” Selbstverlag, Hannover 1963.
Später setzte August Baumgarte sich für die Gründung des Freizeitheims Linden ein und entwickelte 1977 mit dem Freizeitheim linden und dem Freizeitheim “Weiße Rose” die „Antifaschistischen Stadtrundfahrten“. Er lebte in der Wilhelm-Bluhm- Straße 39 und verstarb dort 1980.
Am 27. Februar 2013 beschloss der Bezirksrat seines letzten Wohnortes, des Stadtbezirks Linden-Limmer, einstimmig die Nomination eines Fuß- und Radweges. Die Verlängerung der Justus-Garten-Brücke trägt seither die Bezeichnung „August-Baumgarte-Gang“.
Siehe auch das Buch von Peter Dürrbeck: “Herta und Karl Dürrbeck – Aus dem Leben einer hannoverschen Arbeiterfamilie”, Schöneworth Verlag, Hannover 2010
Weiterhin siehe auch:
Im »Arbeitshaus« von Moringen Von August Baumgarte in Schneider, Ulrich: “1933 – Der Weg ins Dritte Reich” Analysen und Dokumente zur Errichtung der NS-HerrschaftNeue Kleine Bibliothek 319, 2022, ISBN 978-3-89438-794-5
“Das Landgericht Lüneburg” – Broschüre der VVN BdA Lüneburg: https://vvn-bda-lueneburg.de/wp-content/uploads/2023/10/2019_09_Das_Landgericht_-Lueneburg_als_Spitze_der_justizfoermigen_Kommunistenverfolgung_der_1950_1960er_Jahre_IIc.pdf
Zwischen Blutjustiz der Nazizeit und Repression im Kalten Krieg Haftanstalt Wolfenbüttel: https://www.unsere-zeit.de/haftanstalt-wolfenbuettel-121698/
Straßenschilder für August Baumgarte: https://nrw-archiv.vvn-bda.de/ai/antifa_2013-4.pdf
„Traditionen und eine fast vergessene Pleite“ aus rotfuchs zum Verbotsprozess gegen die VVN 1962: https://www.hohenlohe-ungefiltert.de/?p=25883
aus DER SPIEGEL 51/1962 zum Verbotsprozess gegen die VVN 1962: https://www.spiegel.de/politik/aufs-tote-gleis-a-a1773198-0002-0001-0000-000045125287
https://www.ns-zeit-hannover.de/wo-in-hannover/die-demokratie-stirbt
Zwischen Politik und Interessenvertretung – Die Verbände der politischen Opfer des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland von 1947 bis 1990 (PDF): https://core.ac.uk/download/pdf/199184342.pdf