Acht Schüsse

Flüchtlingsrat fordert Aufklärung nach Tod von Touray aus Gambia

Mit acht Schüssen tötete die Polizei in der Nähe von Nienburg aus nächster Nähe den aus Gambia stammenden Lamin Touray. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert mit Verweis auf Widersprüche des Polizeiberichts lückenlose Aufklärung. Erneut hätten People of Color die Polizei um Hilfe gebeten und den Tod gefunden. “rufe nie um Hilfe, es könnte die Polizei kommen”

Hier der Text des Flüchtlingsrats Niedersachsen vom 4. April 2024

Gerechtigkeit für Lamin Touray – Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert lückenlose Aufklärung des tödlichen Polizeieinsatzes

Am vergangenen Samstag (30. März) wurde der 46-jährige Lamin Touray aus Gambia in Nienburg von Polizist:innen getötet. Die Beamt:innen gaben mindestens acht Schüsse auf den Verstorbenen ab, die ihn allesamt trafen. Ein Video, das in den sozialen Netzwerken kursiert, [Triggerwarnung] zeigt, wie die Beamt:innen aus nächster Nähe auf Lamin schießen: Zunächst fallen zwei Schüsse. Nach einer kurzen Feuerpause wird eine weitere Salve von fünf Kugeln auf Lamin abgefeuert. Erneute Feuerpause. Es fällt ein weiterer Schuss. Laut Obduktionsbericht waren zwei dieser Schüsse – einer in die Leber und einer ins Herz – ursächlich für den Tod Lamins.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert, die Todesumstände Lamins umfassend und lückenlos aufzuklären. Für die NGO bleibt es weiterhin unbegreiflich, wieso der Polizeieinsatz eskalierte und Lamin sterben musste. Die Strafverfolgungsbehörden sind unter anderem Antworten auf folgende Fragen schuldig:

Die Polizei wurde von Angehörigen Lamins darüber informiert, dass dieser sich in einem psychischen Ausnahmezustand befand. Wurde dies im Rahmen des Einsatzes von den Polizist:innen berücksichtigt? Falls ja, wie genau?

Lamin habe die Polizei mit einem Messer bedroht, was die Polizist:innen in Gefahr gebracht habe. Weshalb haben die 14 (!) eingesetzten Polizist:innen den Druck auf Lamin erhöht und die Situation weiter eskaliert, anstatt sich zunächst zurückzuziehen und die Situation – unter Hinzuziehung psychologischer Fachkräfte – zu deeskalieren?

Weshalb haben die Polizist:innen es der Freundin Lamins verwehrt, ihn zur Kooperation mit der Polizei zu bewegen?

Weshalb haben die Beamt:innen den Polizeihund entleint und auf Lamin gehetzt? War dies aus Sicht der Polizei geeignet, die Situation zu deeskalieren?

Weshalb sind die ersten beiden Schüsse auf Lamin gefallen? Gab es keine milderen Mittel, mit denen die 14 (!) Polizist:innen die – vermeintliche – Gefahr hätten abwehren können?

Wie rechtfertigen sich die Schüsse drei bis sieben sowie Schuss acht, die jeweils nach einer Feuerpause erfolgten? Weshalb sind die Polizist:innen davon ausgegangen, dass nach den ersten beiden Schüsse, die Lamin getroffen haben, noch insgesamt sechs weitere Schüsse erforderlich waren, um die – vermeintlich –  von im ausgehende Gefahr abzuwehren?

Weshalb behaupten die Strafverfolgungsbehörden, Lamin habe seine Freundin mit einem Messer bedroht, obwohl die Freundin dies bestreitet?

Weshalb sind immer wieder Schwarze und geflüchtete Menschen und Personen of Color von tödlicher Polizeigewalt betroffen? Warum werden Einsätze bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen regelmäßig bis hin zum Schusswaffeneinsatz eskaliert?

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen bedauert, dass sich die Medien – mit Ausnahme der taz – bislang damit begnügt haben, die Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden wieder zu geben, anstatt den Sicherheitsbehörden diese und weitere Fragen, die sich förmlich aufdrängen, zu stellen.

Mindestens fünf Menschen mit Fluchtgeschichte starben allein in den vergangenen vier Jahren in Niedersachsen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen: Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst und Kamal I. im Oktober 2021 im Landkreis Stade. Am Neujahrestag 2023 starb ein Schwarzer im Polizeigewahrsam in Braunschweig.

Mindestens drei dieser Menschen befanden sich – wie auch Lamin –  zum Zeitpunkt ihrer Tötung in einem psychischen Ausnahmezustand – wie die eingesetzten Polizist:innen jeweils wussten. In all diesen drei Fällen haben Menschen die Polizei kontaktiert, um Hilfe für ihre Freunde bzw. Angehörigen zu erhalten. Doch statt der benötigten Hilfe fanden sie den Tod. Auch Lamin Tourays Freundin stellt bitterlich fest, „statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“ und ergänzt: „Ich wünsche mir nichts als Gerechtigkeit!“

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen erwartet von den Verantwortlichen in Politik und Verwaltung über die umfassende und lückenlose Aufklärung des tragischen Todes Lamin Tourays hinaus, dass diese endlich alles dafür tun, damit sich derartige Tötungen niemals wiederholen.

Hintergrund:
Vergangenen Samstag (30. März) wurde der 46-jährige Gambier Lamin Touray durch Schüsse der Polizei getötet. Die Darstellung der Polizei zu dem Einsatz und den Umständen des Todes wurden daraufhin tagelang unhinterfragt von der Presse wiedergegeben. So heißt es, Lamin Touray habe seine Freundin mit dem Messer bedroht. Inzwischen stellt diese gegenüber der taz klar: Sie hat die Polizei nicht wegen einer Bedrohung für sie gerufen, sondern weil sie in Sorge war, dass er aufgrund seines psychischen Zustands eine Gefahr für sich selbst sein könnte. Statt eines Krankenwagens kamen mehrere Polizist*innen. Doch „statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“, so Lamin Tourays Freundin und ergänzt: „Ich wünsche mir nichts als Gerechtigkeit!“

Wir stehen in voller Solidarität an der Seite der Familie und Freund*innen von Lamin Touray,  der unterstützenden Aktivist*innen und allen Getroffenen von Polizeigewalt.

Neue Beweise widersprechen dem ursprünglichen Polizeibericht zum Mord an Lamin Touray und werfen Fragen zur Gewaltanwendung auf
Entgegen dem ursprünglichen deutschen Polizeibericht sind im Fall von Lamin Touray, einem 46-jährigen Gambier, der von der deutschen Polizei während einer Auseinandersetzung in Niedersachsen erschossen wurde, neue Beweise aufgetaucht. Im ursprünglichen Bericht hieß es, er habe seine Freundin mit einem Messer bedroht, bevor er die Polizeibeamten angriff. Neuere Informationen deuten jedoch darauf hin, dass dies möglicherweise nicht der Fall war.
Yahya Sonko, ein führender gambischer Migrationsaktivist in Deutschland, äußerte sich bestürzt über den irreführenden Bericht und erklärte: „Wir weisen die falsche Darstellung der Polizei kategorisch zurück und fordern eine gründliche und unparteiische Untersuchung von Lams Tod. Sonko betonte, dass die Polizei zur Rechenschaft gezogen werden müsse, und forderte die Medien und die Öffentlichkeit auf, sie bei der Suche nach Gerechtigkeit für Touray und seine trauernde Familie zu unterstützen.
„Ich habe persönlich mit Lamins Mutter und seiner Frau gesprochen, die beide die Darstellung der Polizei vehement bestreiten. Ihnen zufolge rief Lamins Frau tatsächlich die Polizei an und bat um Hilfe, um ihn ins Krankenhaus zu bringen, da sie sich Sorgen um seine geistige Gesundheit machte, da er sich unwohl fühlte und ein Messer in seiner Tasche trug.
Tragischerweise eskalierte die Polizei die Situation, anstatt die notwendige Unterstützung und Hilfe zu leisten, was zu Lamins ungerechtem und vorzeitigem Tod führte. Lamins Frau teilte der Polizei ausdrücklich mit, dass er keine Bedrohung für sie darstellte und lediglich medizinische Hilfe benötigte. Dennoch reagierten die Beamten mit tödlicher Gewalt und behandelten Lamin wie ein Tier im Wald und nicht wie einen Menschen in Not“, erklärte Sonko, der mit der Familie des verstorbenen Lamin sprach, gegenüber der Alkmba Times von seinem Standort in Deutschland aus. (…)
Als Reaktion auf den Aufschrei gab die gambische Regierung am Montag eine Erklärung ab, in der sie ihre tiefe Besorgnis über die Schießerei zum Ausdruck brachte und der Öffentlichkeit versicherte, dass eine Untersuchung im Gange sei. In der Erklärung hieß es: „Das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, internationale Zusammenarbeit und Gambier im Ausland untersucht derzeit die Umstände dieses tragischen Vorfalls und wird zu gegebener Zeit alle Einzelheiten bekannt geben.
Die Ermittlungen werden fortgesetzt, während die internationalen Rufe nach Rechenschaftspflicht lauter werden; viele haben die Regierung von Präsident Adama Barrow aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um Gerechtigkeit für den getöteten gambischen Migranten herzustellen
…“ engl. (maschinenübersetzt)

Artikel von Alieu Ceesay vom 2.4.24 in Alkamba Times New evidence contradicts the initial police report in the killing of Lamin Touray, raising questions about the use of force https://alkambatimes.com/new-evidence-contradicts-the-initial-police-report-in-the-killing-of-lamin-touray-raising-questions-about-the-use-of-force/

siehe auch dazu:

Bei Notruf Todesschuss https://taz.de/Toedlicher-Polizeieinsatz-in-Nienburg/!5999138/

Tödlicher Polizeieinsatz: »Wie ein Tier im Wald erschossen« https://www.nd-aktuell.de/artikel/1181290.polizeigewalt-toedlicher-polizeieinsatz-wie-ein-tier-im-wald-erschossen.html

Mörder statt Helfer – die Polizei tötet zwei Menschen innerhalb einer Woche Ein Kommentar von Olga Goldman. https://perspektive-online.net/2024/04/moerder-statt-helfer-die-polizei-toetet-zwei-menschen-innerhalb-einer-woche/

[Schützt Menschen in psychischen Ausnahmesituationen vor der Polizei!] 8 tödliche Polizeischüsse auf Lamin Toray aus Gambia in Nienburg/Nds https://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/grundrechte-all/polizeistaat/schuetzt-menschen-in-psychischen-ausnahmesituationen-vor-der-polizei-8-toedliche-polizeischuesse-auf-lamin-toray-aus-gambia-in-nienburg-nds/

Polizei erschießt Flüchtling aus Gambia – Flüchtlingsrat fordert Aufklärung https://www.sonntagsblatt.de/artikel/gesellschaft/polizei-erschiesst-fluechtling-aus-gambia-fluechtlingsrat-fordert-aufklaerung

German police to face legal battle over Touray’s death https://thepoint.gm/africa/gambia/headlines/german-police-to-face-legal-battle-over-tourays-death