Menschen, die in Deutschland nach 1945 wegen ihrer Homosexualität verfolgt wurden, können nach dem 22. Juli keine Anträge auf Entschädigung mehr stellen.
Nach 1945 wurden zwischen 50.000 und 60.000 Menschen in der Bundesrepublik und rund 4.000 in der DDR verurteilt. Die DDR hatte den Paragrafen 175 sofort nach ihrer Gründung abgemildert und 1968 ganz abgeschafft. In der Bundesrepublik dagegen wurde er 1969 und 1973 nur schrittweise entschärft und erst im wiedervereinigten Deutschland 1994 endgültig aufgehoben. Angesichts der Straflosigkeit von Homosexualität in der DDR war eine neue Strafbarkeit nicht durchsetzbar. {In der ehemaligen DDR wurde bis Ende der 1950-er Jahre “nur” § 175 StGB angewendet, danach wurden vorerst sexuelle Handlungen unter gleichgeschlechtlichen Erwachsenen nicht mehr bestraft. Im Jahre1968, mit dem Inkrafttreten des Strafgesetzbuches der DDR, wurde der § 151 ins Leben gerufen, welcher gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Dieser Paragraph hatte bis 1988 Gültigkeit, danach wurde er ersatzlos gestrichen. Bis zum Jahre 1994 hatte der § 175 StGB im wiedervereinigten Deutschland Gültigkeit; danach entfiel auch dieser. Siehe: https://www.juraforum.de/lexikon/paragraph-175}
Doch erst 2017 wurde im Bundestag das Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer des „Schwulenparagrafen“ 175 erlassen.
In der Nachkriegszeit verurteilte homosexuelle Menschen können seitdem Anträge auf Rehabilitierung und Entschädigung stellen. Nach §175 Verurteilte können eine Entschädigung beantragen, die 3.000 Euro je aufgehobener Verurteilung plus 1.500 Euro je angefangenem Jahr in Haft beträgt. Seit März 2019 gilt eine zusätzliche Richtlinie, die es auch Verfolgten ohne Urteil möglich macht, eine einmalige Entschädigung für die negativen Beeinträchtigungen – beispielsweise einen Jobverlust – zu beantragen.
Trotz der zahlreichen Menschen, die Anspruch auf Entschädigung haben, ist die Resonanz gering. 325 Personen haben bisher nach Angaben des Bundesamtes für Justiz (BfJ) entsprechende Anträge gestellt. 254 von ihnen wurden mit insgesamt 870 000 Euro entschädigt. So die Antwort auf eine schriftliche Frage von Jan Korte aus der Fraktion „Die Linke“. 30 Millionen Euro waren erwartet und bereitgestellt worden.
Viele andere Homo- und Bisexuelle hatten Ermittlungsmaßnahmen zu erdulden gehabt, saßen in Untersuchungshaft oder erlitten erhebliche berufliche, wirtschaftliche oder gesundheitliche Nachteile. Viele möchten sich wahrscheinlich keiner erneuten „Prüfung“ ihrer Ansprüche durch den Staat gefallen lassen, der sie erst verfolgt hat.
Aus dem Artikel „Paragraf 175: „Entschädigung kam viel zu spät““:
Die Rehabilitierten erhalten 3.000 Euro je aufgehobenes Urteil und 1.500 Euro für jedes angefangene Jahr in Haft. „Das ist fast frech bei dem, was viele von ihnen erlebt haben“, kritisiert Georg. Er und seine Verbündeten hatten sich weit mehr erhofft, idealerweise eine monatliche Opferrente,
„Ja, ich bin verurteilt worden, aber ich habe damit abgeschlossen. Ich will nicht noch mal mit denen verhandeln, die mich ins Gefängnis geworfen haben – schon gar nicht für so eine geringe Entschädigung.“
https://www.siegessaeule.de/magazin/paragraf-175-entsch%C3%A4digung-kam-viel-zu-sp%C3%A4t/
„… Der Fall Wolfgang Lauinger
Wie realitätsfern diese Einschränkung war, zeigt der Fall Wolfgang Lauinger. Er war einer der Betroffenen der berüchtigten „Frankfurter Homosexuellenprozesse“ 1950/51. Sein Antrag auf Entschädigung wurde Ende 2017 abgelehnt, weil er damals ‚nur‘ in Untersuchungshaft saß und freigesprochen wurde. Welche weiteren – negativen – Auswirkungen dieser öffentlichkeitswirksame Prozess auf das Leben Lauingers hatte, war für die Entscheidung irrelevant. Einige Wochen nach dieser Entscheidung starb Lauinger, ohne jemals für sein Leid entschädigt worden zu sein.“ Aus: „Großes Leid, kleine Geste“ https://taz.de/Neue-Richtlinie-zu-175-Entschaedigung/!5580579/
Weitere Artikel:
Entschädigung für die §175-Opfer: „Man hat das Gesetz zu einer Farce gemacht“ https://magazin.hiv/magazin/gesellschaft-kultur/entschaedigung-%c2%a7175/
Opfer des §175: Diskriminierung statt umfassender Rehabilitierung https://magazin.hiv/magazin/neuigkeiten/diskriminierung-%c2%a7175-opfer/
Wo Paragraf 175 trotz seiner Abschaffung heute noch weiterlebt: https://www.vice.com/de/article/bj9pdq/wo-paragraf-175-25-jahre-nachabschaffung-noch-weiterlebt
Die Schwulenbewegung in Deutschland – Von § 175 über die neuen Schwulengruppen zur Bürgerrechtsbewegung: https://www.lsvd.de/de/ct/935-Die-Schwulenbewegung-in-Deutschland
So geht’s: Anträge auf Entschädigung stellen
So funktioniert die Entschädigung für §175- und §151-Urteile
In der Kölner Geschäftsstelle der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren e. V. berät Jan Bockemühl Menschen, die eine Antrag auf Entschädigung für Verurteilungen nach § 175 (BRD) und § 151 (DDR) stellen wollen. Laut Schätzungen haben noch 5000 Menschen darauf einen Anspruch.
Ratgeber: Rehabilitierung der nach §175 StGB und nach § 151 StGB DDR verurteilten Personen https://www.lsvd.de/de/ct/1455-Ratgeber-Rehabilitierung-der-nach-175-StGB-und-nach-151-StGB-DDR-verurteilten-Personen
U.a. die Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS)informiert und berät Betroffene der §§ 175/175a StGB und § 151 StGB-DDR zu allen Fragen der Rehabilitierung und des individuellen Entschädigungsanspruchs. (https://schwuleundalter.de/) unter: 0800 175 2017 (kostenfrei) montags bis freitags: 11 Uhr bis 16 Uhr oder biss@schwuleundalter.de
Das Bundesamt für Justiz hat auf seiner Homepage ein Antragsformular für die aufgrund ihrer Homosexualität verurteilten Männer und Frauen bereitgestellt.
Entschädigung nach dem StrRehaHomG und der Richtlinie
https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Rehabilitierung/Rehabilitierung_node.html
Formulare dazu: https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Buergerdienste/Rehabilitierung/Service/Formulare/Formulare_node.html
Hier ein weiterer Ratgeber für LGBTQs, auf Anregung:
Schutz für LGBTQs vor Cybermobbing im Internet: https://de.vpnmentor.com/blog/die-meiste-lgbtqs-sind-opfer-von-cybermobbing-so-bleibst-du-online-sicher/
Inhaltsverzeichnis
- Eine Community online finden
- Die dunkle Seite des Webs
- Deine Identität während und nach der Umwandlung kontrollieren
- Dating als Queer
- Sich als Queer am Arbeitsplatz bewegen
- Wir hoffen, das hat geholfen
- Anhang
Mehr zum § 175
Umfangreich und empfehlenswert zum Einlesen: http://www.paragraf175.rosa-winkel.de/
Paragraph 175 StGB: Verbot von Homosexualität in Deutschland- Verfolgung von Homosexuellen in Deutschland – Geschichte eines Schandparagraphen: https://www.lsvd.de/de/ct/1022-Paragraph-175-StGB-Verbot-von-Homosexualitaet-in-Deutschland
Buch: Die Geschichte des § 175 – Strafrecht gegen Homosexuelle (Ausstellungskatalog) von Manfred Herzer (Herausgeber), Verlag rosa Winkel
PDF: ANDREAS PRETZEL & VOLKER WEISS (HG.), ROSA RADIKALE – DIE SCHWULENBEWEGUNG DER 1970ER JAHRE, Männerschwarm Verlag, Hamburg 2012 https://shaunss.ipgovernance.eu/wp-content/uploads/2012/12/haunss-2012-von-der-sexuellen-befreiung-zur-normalitacc88t.pdf
Juristisches:
Eine kurze Geschichte des § 175 in der BRD https://www.forum-recht-online.de/2005/205/205steinke.htm
Und §175: https://dejure.org/gesetze/StGB/175.html
Aus HomoWiki: Paragraf 175: https://www.homowiki.de/Paragraf_175
Kappe, „Die Fabrikation des Abnormen“: https://www.kj.nomos.de/fileadmin/kj/doc/1991/19912Kappe_S_205.pdf