18. Februar/18.00-19.30 Uhr
Zugangsdaten: https://rote-hilfe.collocall.de/b/dem-fhi-gxj-zkk
Am 28. Januar 2022 jährt sich zum 50. Mal die Verabschiedung des Radikalenerlasses. Unter Vorsitz von Willy Brandt verabschiedeten die Ministerpräsidenten der Länder einen Beschluss, der die Behörden anwies, den Öffentlichen Dienst von so genannten Verfassungsfeinden zu säubern. Betroffen waren Postbot*innen, Lokführer*innen, Verwaltungsbeamt*innen und viele andere. Millionen geheimdienstlicher Überprüfungen, Zehntausende von Verhören und weit über 1500 vollstreckte Berufsverbote waren die Folge. Das Material lieferte der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ (VS).
Um die so genannten Regelanfragen zu allen Anwärter*innen zu bewältigen, wurde der VS zu einem gigantischen und nahezu unkontrollierbaren Apparat aufgebläht. Als gesetzliche Grundlage griffen die Regierenden auf die „Gewährbieteklausel“ des deutschen Beamtenrechts zurück, die aus dem nationalsozialistischen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom Mai 1933 stammt.
Das Ziel aller Aktivitäten gegen alte und neue Berufsverbote muss deswegen auch die Abschaffung der gesetzlichen Grundlagen für diese Form der Repression sein. Bis heute kämpfen zahlreiche Betroffene um Rehabilitierung und Entschädigung, bis heute kommen neue Fälle dazu.
Dazu diskutieren:
Lothar Letsche aus Tübingen wollte Gymnasiallehrer werden und erhielt 1977 dafür Berufs- und Ausbildungsverbot. Er arbeitete danach als Verlagsredakteur für Schulbücher und war ab 1981 wissenschaftlicher Angestellter am Deutschen Institut für Fernstudien in Tübingen. Dort wurde er auf Befehl des Wissenschaftsministeriums am letzten Tag der Probezeit gekündigt. Er gewann den Prozess, wurde Betriebsratsmitglied und arbeitete bis zur Rente am Institut. Seit 2001 betreut er die Homepage berufsverbote.de, die der Dokumentation und Solidarität unter den Betroffenen dient.
Silvia Gingold aus Kassel erhielt 1975 Berufsverbot als Lehrerin, weil sie Mitglied in der DKP war. Da das Verwaltungsgericht die Begründung für „nicht ausreichend“ erklärte, musste sie ab 1976 in den Schuldienst eingestellt werden, allerdings nur als Angestellte. Auf Grund ihrer antifaschistischen und friedenspolitischen Aktivitäten überwacht der Inlandsgeheimdienst „Verfassungschutz“ sie bis heute, wogegen sie Klage vor Gericht erhoben hat.
Michael Csaszkóczy, Realschullehrer aus Heidelberg, wurde auf Grund seines antifaschistischen Engagements 2003 in Baden-Württemberg und 2005 in Hessen nicht eingestellt. Nach breiter Protestbewegung und Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim musste er 2007 in den Schuldienst übernommen und teilweise entschädigt werden. Auch er hat von 2012 bis 2016 gegen seine andauernde Überwachung durch den „Verfassungsschutz“ geklagt.
Eine Veranstaltung der Roten Hilfe e.V.
Niedersächsische Initiative gegen Berufsverbote
Liebe Freuninnen und Freunde, wir hoffen, dass es euch allen gut geht und ihr auch die Coronawellen unbeschadet überstanden habt. Der 50. Jahrestag des „Radikalenerlasses“ am 28.01.2022 hat bundesweit und auch im Ausland eine beachtliche Medienresonanz zur Folge gehabt und den berechtigten Forderungen der Betroffenen nach Entschuldigung, wissenschaftlicher Aufarbeitung und Entschädigung deutlichen Nachdruck verliehen. Auch in Niedersachsen widmeten Medien vom Harz bis zur Nordseeküste dem Thema große Aufmerksamkeit. Am Ende dieser Mail haben wir von „berufsverbote.de” in Auszügen einen sicherlich unvollständigen Überblick über Veröffentlichungen, die sich mit den Berufsverboten in Niedersachsen und auch in Bremen beschäftigen, zusammengestellt. Das nächste Online-Treffen unserer Niedersächischen Initiative findet statt am: Dienstag, den 15. Februar, um 11 Uhr Folgende Einwahlmöglichkeiten gibt es dazu:
Jitsi Meet: Niedersachsengegenberufsverbote (evtl. auch auf dem Smartphone)
oder über Festnetz-Tel.: 001512 647 1431 mit der PIN 1463 9107 57. Aufgrund der Pandemie mussten unsere zum 50. Jahrestag vorgesehenen mehrtägigen Aktivitäten in Berlin abgesagt und verschoben werden – lediglich eine Online-Pressekonferenz konnte stattfinden. Nun werden wir anlässlich des Tages des Grundgesetzes vom 16./17.bis 20. Mai in Berlin unseren Forderungen Nachdruck verleihen. Vielfältige Aktivitäten sind vorgesehen: Gespräche mit den Bundestagsfraktionen, Kulturveranstaltung, Lesung, Ausstellung, Übergabe der Unterschriften an die Bundesregierung, Aktion mit Duckmäusen usw. – weitere Ideen sind sehr willkommen. Wer es zeitlich und auch gesundheitlich einrichten kann, möge sich bitte beteiligen. Mehrere tausend Unterschriften wollen wir in dem Zusammenhang der Bundesregierung öffentlich übergeben. Nutzt bitte die verbleibende Zeit um noch massenhaft Unterschriften für unsere Forderungen zu sammeln: – Eine Unterzeichnungsmöglichkeit unter unseren Aufruf „50 Jahre Berufsverbote – Demokratische Grundrechte verteidigen!” gibt es bei „berufsverbote.de”; – und auch bei „campact” sollte die Petition zu den Berufsverboten unterzeichnet und als Link an Freund/innen und Bekannte mit der Bitte um Unterzeichnung geschickt werden:
https://weact.campact.de/petitions/50-jahre-verfassungsbruch-sind-genug-kein-neuer-radikalenerlass?share=90e10700-390f-4545-85bd-dc23c8440f9e&source=email-share-button&utm_medium=recommendation&utm_source=email Am 16. Februar wird die „Junge Welt” mit einer 12-seitigen Beilage (!) zu den Berufsverboten erscheinen. In Niedersachsen werden wir ca. 100 Exemplare des (von der Bundesinitiative finanzierten) Sonderdruckes erhalten. Wer davon Exemplare verbreiten kann, wende sich bitte mit Adressenangabe an „m.wietzer@gmx.de” In der Anlage befindet sich der sehr beachtenswerte Antrag der hessischen SPD-Landtagsfraktion, in dem die „vollständige politische, gesellschaftliche und materielle Rehabilitierung” gefordert wird. Zwar wurde dieser Antrag kürzlich von CDU, Grünen, FDP und AfD abgelehnt, dennoch bereichert er die Diskussion und wird sich auch bundesweit nutzen lassen. Die sehr empfehlenswerte in ARD ausgestrahlte 45-minütige Dokumentation „Jagd auf Verfassungsfeinde – Der Radikalenerlass und seine Opfer“ von Hermann G. Abmayr ist in der ARD-Mediathek (Themenwelt Geschichte im Ersten) bis zum 17. Januar 2023 verfügbar. Sie soll auch noch in verschiedenen Dritten Programmen ausgestrahlt werden. Voraussichtlich am 24. Februar (um 21.45 Uhr) wird das ARD-Magazin „Panorama” einen Beitrag zu den Berufsverboten und den aktuellen Regierungsvorhaben senden, in dem auch die beiden Unterzeichner/innen dieser Mail zu Wort kommen. Mit besten Grüßen Conny Matthias
Neuere Veröffentlichungen mit „Niedersachsen- und Bremer-Spezifik”: (Eine bundesweite Übersicht gibt`s bei „berufsverbote.de”) Kathrin Hedtke: „Lebenslange Abstrafung“. E&W 12-2021 (Zeitschrift der GEW) – Leserbriefe dazu in E&W 01-2022, mit redaktionellen Hinweisen auf neue Bücher und Beiträge zu den „Unvereinbarkeitsbeschlüssen“
Maren Reese-Winne: Wer gegen Berufsverbote protestierte, wurde selbst damit gestraft. Cuxhavener Nachrichten 20.01.2022
Frank Hethey: Rote Lehrer auf der schwarzen Liste. Weserkurier (Bremen) 22.01.2022
Willi Winkler: Das große Schweigen der SPD. Wer vor 50 Jahren Beamter werden wollte, wurde ausgefragt, bespitzelt – aus Angst vor Linksextremen. Ein Gespräch mit Gabriele Sprigath. Süddeutsche Zeitung 24.01.2022 (Text) (Auf der direkt gegenüberliegenden Seite 2 ist ein Interview mit Bundeskanzler Olaf Scholz abgedruckt: „Ich wünsche mir die Mehrheit in jeder Hinsicht“.)
Frank Hethey: Linke Gesinnung auf dem Prüfstand. Weser-Kurier (Bremen) 28.01.2022 (über die „Fälle“ von Frank Behrens, Karlheinz Koke und Barbara Larisch)
Frederick Dumke: 50 Jahre Radikalenerlass: Wie ein Bremer Zeitzeuge an Schulen aufklärt. Buten Un Binnen (Radio Bremen) 28.01.2022 (Video mp4) (pdf)
50 Jahre Berufsverbote – der Kampf geht weiter! Erklärung der DKP; Interviews mit Silvia Gingold (Hessen) und Michael Csaszkóczy (Baden-Württemberg) auf einer Doppelseite der uz vom 28.01.2022 (Foto von Bundespost- und Bundesbahn-Betroffenen auf der Doppelseite), außerdem in der gleichen Ausgabe ein Interview mit Matthias Wietzer (Niedersachsen) und ein Beitrag von Hans Bauer: Klassenjustiz im Osten. – Zu diesem Aspekt ein Leserbrief von Klaus Mausner in der uz vom 10.02.2022
mdr.de 28.01.2022: 50 Jahre Radikalenerlass: Berufsverbot für „Extremisten“ (oder je nachdem, wie man den Text ausdruckt: 50 Jahre Radikalenerlass: Angst vor kommunistischer Unterwanderung) (pdf mit Bildern) (pdf Text) – Es handelt sich um einen bebilderten Text auf der Website des Senders, der keiner konkreten Sendung zugeordnet ist. Es geht um den „Fall“ von Rolf Günther in Niedersachsen und Interventionen von Gerhard Schröder zugunsten von Betroffenen, doch ohne eine Frage wie „Waren Willy Brandt und Franz-Josef Strauß Stasi-Agenten?“ kommt dieser Sender offenbar nicht aus.)
Wolfgang Stephan: Berufsverbote „Schande für das Land“ und 50 Jahre Radikalenerlass – ein unrühmliches Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Cuxhavener Nachrichten 28.01.2022 (nimmt Bezug auf die Online-Pressekonferenz der Betroffenen am Vortag mit Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin)
Jann-Luca Künßberg: Als Beamten ihre Arbeit verboten wurde. Harz Kurier 28.01.2022
Yannick von Eisenhart Rothe: „Meine Lebensplanung wurde zerstört“. Neue Presse (Hannover) 28.01.2022 (gleichlautend u.a. Aller-Zeitung, Peiner Allgemeine, Schaumburger Nachrichten, Wolfsburger Allgemeine) und ähnlich: Der Staatsfeind. Hannoversche Allgemeine Zeitung 28.01.2022 (über Matthias Wietzer)
Ein Blick zurück. 50 Jahre Radikalenerlass. Radiobericht Deutschlandfunk Kultur 28.01.2022 (basiert auf Interviews mit den Betroffenen Gisela Kehrer-Bleicher, Hans-Christian Arnsperger, Matthias Wietzer sowie Prof. Dr. Edgar Wolfrum, Winfried Kretschmann, Jutta Rübke und historischen Tondokumenten)
Sebastian Besau: Die Spätfolgen des „Radikalenerlasses“. NRZ (Düsseldorf) 29.01.2022 (über Uwe Koopmann)
Joachim Ziessler: Der Knick im eigenen Leben. Landeszeitung (Lüneburg) 29.01.2022 (über Frieder Kern)
Werner Jürgens: Der Radikalenerlass und seine Opfer in der Region. Ostfriesenzeitung 29.01.2022 (über Dorothea Vogt)
Werner Jürgens: „Radikalenerlass war Gift für die Demokratie“. Interview mit Dorothea Vogt. Jeversches Wochenblatt 31.01.2022 (wortgleich in der Wilhelmshavener Zeitung)
„Politische Verfolgung in der Bundesrepublik: Berufsverbote“ (über die eigenen Erlebnisse, 19.01.2022) und „Ausgrenzung, Einschüchterung, Zensur“ (01.02.2022) – Interviews in Radio Flora (Hannover) mit den Betroffenen Hubert Brieden, Matthias Wietzer (Niedersachsen) und Cornelia Booß-Ziegling (seinerzeit Nordrhein-Westfalen)
Wolfgang Stephan: Ein beschämendes Kapitel. Am Freitag vor 50 Jahren wurde in Deutschland der Radikalenerlass beschlossen – bis 1991 war er in Kraft. SUR deutsche Ausgabe (deutsche Wochenzeitung für Südspanien) 03.02.2022, S. 16
Thomas Husmann: Beliebten Lehrer aus dem Schuldienst entfernt. Radikalenerlass trat vor 50 Jahren in Kraft- Hans-Joachim Müller blickt auf politisch bewegte Zeiten zurück. NWZ (Oldenburg) 08.02.2022