Die internationale Kampagne „Solidarity Keeps us Alive” ruft am 27. Juni zu einem dezentralen internationalen Aktionstag auf, um den politischen Gefangenen weltweit eine Stimme zu geben und die Isolation in den Gefängnissen zu durchbrechen.
Die durch die kapitalistische Moderne verursachte Zerstörung von Natur, Umwelt und sozialem Leben hat dazu geführt, dass die Coronavirus-Pandemie eine große Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Menschen darstellt. Zuvor hatten sich Epidemien wie Cholera, AIDS, Vogelgrippe, Schweinegrippe, SARS I/II massenhaft ausgebreitet und das Leben der Menschen beeinträchtigt. In jüngster Zeit ist die Ausbreitung von Covid-19 in dieser Form das Ergebnis anhaltender Angriffe auf Natur und Gesellschaft im Namen der kapitalistischen Moderne zur maximalen Profitsteigerung.
Für viele Staaten ist das gegenwärtige Coronavirus eine Gelegenheit, gegen die schwächsten Menschen in der Gesellschaft eingesetzt zu werden, insbesondere gegen ältere Menschen und Gefangene, die als nicht mehr produktiv gelten. Insbesondere oppositionelle und politische Gefangene sind von Aufschub- und Amnestiebestimmungen ausgeschlossen, die erlassen wurden, um die Verbreitung des Virus in Gefängnissen zu verhindern. Sie werden praktisch dem Tod überlassen.
In vielen Ländern auf der ganzen Welt werden Hunderttausende von politischen Gefangenen unter schlechten Lebensbedingungen und mit unzureichender medizinischer Versorgung gehalten, wobei Frauen und Kinder besonders gefährdet und der Epidemie schutzlos ausgesetzt sind. Die Vorkehrungen, die als Reaktion auf das Coronavirus in verschiedenen Ländern getroffen wurden, haben zur Freilassung von einigen wenigen Gefangenen geführt. Es gibt offensichtlich eine bewusste Politik gegenüber politischen Gefangenen, die als Feinde antidemokratischer Regime angesehen werden. Sie werden beim Umgang mit dem Virus unter Gefängnisbedingungen im Stich gelassen. Diese Ungerechtigkeit macht deutlich, warum wir in einer Gesellschaft ohne Strafjustiz und ohne Gefängnisse leben wollen.
Gefängnisse sind von der Öffentlichkeit isolierte Räume. Mit ihren hohen Mauern und Stacheldrahtzäunen sollen die Stimme der politischen Gefangenen gebrochen und sie von der Gesellschaft isoliert werden. Aus diesem Grund wird es, auch wenn es immer wichtig ist, ihre Stimme zu sein und das “Drinnen” nach “Draußen” zu bringen, immer wichtiger und dringlicher, während ihre Gesundheit und ihr Leben durch die Coronavirus-Pandemie ernsthaft gefährdet sind.
Um auf diese Situation aufmerksam zu machen, hat sich die Kampagne „Solidarity Keeps Us Alive“ („Solidarität hält uns am Leben“) gebildet. Die Kampagne wird sowohl von Gruppen getragen, die sich schon längere Zeit mit der Gefängnissituation in ihren Ländern befassen, als auch von Initiativen und Einzelpersonen, die sich allgemein für Menschenrechte und Demokratie einsetzen.
Am dramatischsten zeigt sich die Situation an der wachsenden Zahl politischer Gefangener, die in der Türkei wegen Meinungsäußerungen und demokratischen Engagements im Gefängnis sitzen. Aktuell sind es mit circa 8.000 Inhaftierten (davon 400 Frauen) – bei zunehmender Tendenz. Vor allem betroffen ist hier die kurdische Demokratiebewegung, die seit einigen Jahren versucht, die Gesellschaft basisdemokratisch und ökologisch umzugestalten. Auch in Staaten wir dem Iran, Spanien und Kolumbien werden politische Gefangene, trotz der Corona-Pandemie weiterhin festgehalten. Ein aktuelles Beispiel ist die seit 13 Jahren inhaftierte kurdische Aktivistin Zeynab Jalalian im Iran. Die im Iran zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilte kurdische Gefangene ist an Covid-19 erkrankt und die Behörden verweigern ihr eine medizinische Behandlung in einem Krankenhaus. Das iranische Regime macht bereits seit Jahren ein öffentliches Reuebekenntnis zur Vorbedingung für eine fachärztliche Behandlung, was von Jalalian abgelehnt wird. Der Fall von Zeynab Jalalian ist nur ein Beispiel für die akute Situation politischer Gefangener.
Die Kampagne ruft deshalb am 27. Juni zu einem dezentralen internationalen Aktionstag auf, an dem sie den politischen Gefangenen weltweit eine Stimme geben und die Isolation in den Gefängnissen durchbrechen will: „Beteiligt euch mit kreativen Aktionen in euren Städten am Aktionstag! Solidarität hält uns am Leben!“
Wir “hier draußen” sollten unsere Schwestern im Widerstand, Stimmen der Opposition, Revolutionär*innen und politischen Gefangenen „da drinnen” verteidigen und ihr Leben schützen!
Verletzliches menschliches Leben zu schützen und zu retten ist für uns eine Frage der Moral und des Gewissens. Dies stellt eine wichtige Dimension des Aufbaus von Kraft für ein freies Leben dar, die für einen dauerhaften Ausweg aus Krise und Chaos unerlässlich ist. Wir glauben, dass Sie mit uns übereinstimmen und bitten Sie, sich unserer Kampagne für die Freilassung aller politischen Gefangenen, deren Leben und Gesundheit ernsthaft gefährdet sind, anzuschließen.
Für unsere Kampagne mit dem Titel “Solidarität hält uns am Leben” schlagen wir Folgendes vor:
- Bedeutungsvolle Kontakte zwischen den Gefangenen, insbesondere Frauen, Verwandten und Unterstützer*innen herzustellen und die Situation und die Gedanken der Gefangenen für die Gesellschaft sichtbar zu machen.
- In allen Ländern Initiativen zur Unterstützung der Gefangenen zu gründen und Petitionskampagnen gegen die Gefängnispolitik der Regierungen zu starten.
- Die Vereinten Nationen, das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT), Amnesty International (AI) und ähnliche Organisationen aufzufordern politischen und diplomatischen Druck auf die betreffenden Staaten auszuüben, damit alle politischen Gefangenen unverzüglich freigelassen werden.
Wir wollen diese Kampagne gemeinsam Schritt für Schritt und auf lange Sicht zum Erfolg führen. Solidarität hält uns am Leben!
Kampagnenhomepage: https://solidaritykeepsusalive.wordpress.com/
Facebook und https://de-de.facebook.com/solidarityalive.313371
https://twitter.com/solidarityalive Twitter
Internationale Solidaritätskampagne von Frauenverbänden fordert Freilassung politischer Gefangener. Ein Gespräch mit Yvonne Heine
Ausschnitt aus: Junge Welt Ausgabe vom 26.05.2020, Seite 2 / Ausland
Kampagne gegen politische Haft
»Kämpfen für eine Gesellschaft ohne Gefängnisse«
Sie beteiligen sich an der internationalen Kampagne »Solidarity keeps us alive – Solidarität hält uns am Leben«, welche die Freilassung politischer Gefangener weltweit fordert. Wie kam dieses Bündnis zustande?
Als kurdische Frauen haben wir bereits eine hohe Sensibilität für die Themen Repression und Kriminalisierung. So wuchs in uns der Wunsch, etwas gegen himmelschreiende Ungerechtigkeit wie im Fall des in der Türkei verabschiedeten Amnestiegesetzes zu unternehmen. Im Zuge seiner Umsetzung wurden sogar zwei Vergewaltiger freigelassen, während gegenüber politischen Gefangenen Sonderregelungen erlassen wurden, um sie von der Amnestie auszunehmen.
Als dann Aktivistinnen der Bewegung Freier Frauen mit dem Vorschlag auf uns zukamen, gemeinsam eine Kampagne zu starten, haben wir sofort zugestimmt. Da wir wissen, dass vieles, was uns widerfährt, auch allen anderen vom patriarchal-kapitalistischen System Unterdrückten geschieht, haben wir Kontakt zu weiteren Frauenorganisationen aufgenommen.
… … …
Im Aufruf zur Kampagne ist von einer Gesellschaft ohne Strafhaft und Gefängnisse die Rede. Ist das nicht sehr utopisch?
Natürlich wissen wir, dass wir eine Gesellschaft ohne Gefängnisse nicht von heute auf morgen aufbauen können. Wir glauben jedoch daran, dass jeder unserer Schritte auf dieses Ziel ausgerichtet sein sollte und kämpfen dafür.
Uns ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es andere Möglichkeiten gibt, eine sichere und gerechte Gesellschaft zu gestalten. Viele Konflikte, die der Staat nur durch die Methode des Wegsperrens löst, entstehen aufgrund eines falschen Gesellschaftssystems. In einer gerechten Gesellschaft, in der der Mensch Mensch sein kann, ohne Ausbeutung und Unterdrückung, brauchen wir keine Gefängnisse. Unsere Kampagne soll Menschen dazu motivieren, sich mutig, bewusst und selbstbestimmt eine neue, eine andere, eine lebenswerte Gesellschaft vorzustellen, eben solche Utopien zu entwickeln und entschlossen und solidarisch für Veränderungen zu sorgen.
Artikel auf Englisch aus Global Rights vom 21. März 2020
Ausschnitt:
Solidarity keeps us alive! Campaign for the release of political prisoners
The Free Women Movement (TJA) launched a campaign with other international women organizations called “Solidarity keeps us alive” in favour of political prisoners
A press conference was organised by the Democratic Regions Party (DBP) at its headquarters to explain the campaign.
TJA spokeswoman Ayşe Gökkan, HDP Amed Provincial co-chair Hülya Alökmen Uyanık, TJA activist Sümme Gök, MED TUHAD-FED co-chair Elif Haran, MEBYA-DER co-chair Yüksel Almas joined the press conference.
TJA spokeswoman Ayşe Gökkan spoke in Kurdish and said that the coronavirus epidemic is the ” result of the attack on nature and society carried out by the capitalist modernity system which is interested only in getting maximum profits”.
………
The campaign events will be shared on this website
www.solidaritykeepsusalive.wordpress.com
The campaign organisers are:
Free Women’s Movement (TJA)
Kurdish Women’s Movement – Europe (TJK-E)
RONAK
CENÎ – Kurdish Women’s Office for Peace
International Women’s Alliance (IWA)
Women Democratic Front Pakistan (WDF)
Ruba odeh Palestine
Abya Yala Feminists
National Front for Egyptian Women
Moroccan Association for Progressive Women
Revolutionary Association of the Women of Afghanistan RAWA
Collective of Support for Women Prisoners in Aragon (C.A.M.P.A.)
Feministische Partei DIE FRAUEN (Feminist party THE WOMEN)
Signatures
Khadija Ryadi
Maghreb Coordination of Human Rights Organizations
Dr. Karima Hafnawi
National Front for Egyptian Women
Selay Ghaffar
Solidarity Party of Afghanistan (Hambastagi)
Weeda Ahmad
Social Association of Afghan Justice Seekers (SAAJS)
Atika Ettaife
Women’s Sector of the Democratic Way Party
Dr. Aziz Rhali
Moroccan Association for Human Rights
Leyla Khaled
Janet Biehl
Autor and Editor
HDK Merkez Kadın Koordinasyonu (Central Women’s Coordination)
Halkların Demokratik Kongresi (Peoples Democratic Congress)
Ayşe Gösterişlioğlu
Sarah Glynn – Co-Convenor Scottish Solidarity with Kurdistan
Margaret Owen
O.B.E lawyer, Patron Peace in Kurdistan. Director widows for peace through democracy
Human Rights Foundation – PASOS (“Process of support and solidarity with social organizations – and Populars)
Peoples Congress
Peoples Legal Team
Moroccan Association for Human Rights
Hambastagi (Solidarity Party of Afghanistan)
Social Association of Afghan Justice Seekers (SAAJS)
AZADÎ e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland, Köln
Ebru Günay
Semra Güzel
Komitee für Grundrechte und Demokratie
Transratgeber Kollektiv
Ayşe Gökkan
Manoubia Ben GhedahemManoubia Ben Ghedahem , Workers Party Tunesien MK
Khadija Ainani,
Vice-President of the independent human rights organisation AMDH, Morocco
Anjila Al-Maamari, Strategic Research Centre for the Support of Women and Children (Yemen)
Amal Qrami, Professor of Law (Tunisia)
Amal Basha, Sister’s Arab Forum for Human Rights (Yemen)